6. Februar 2023

Kommt die EU ohne russischen Diesel aus?

Von Admins

Seit diesem Sonntag folgt die EU dem Beispiel der USA und des Vereinigten Königreiches und führt keinen Diesel oder andere Raffinerieprodukte aus Russland mehr ein, um die Abhängigkeit von russischen Quellen weiter zu vermindern.

Dieser Boykott ist mit einem Preisdeckel für raffiniertes Öl aus Russland verbunden. Die Obergrenze liegt bei 100 Dollar je Barrel auf hochwertige Ölprodukte wie Diesel und 45 Dollar je Barrel auf günstigere Produkte wie Heizöl. Dies soll die russischen Einnahmen weiter verringern und gleichzeitig verhindern, dass der global ohnehin hohe Dieselpreis noch weiter steigt.

Das Embargo folgt dem Boykott von auf dem Seeweg importierten russischem Rohöl – beides war im Juni vergangenen Jahres angekündigt worden im Rahmen des sechsten Boykott-Paketes der EU als Antwort auf Russlands brutalen Überfall auf die Ukraine. Nach Einschätzung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kostet die bestehende Obergrenze für russisches Öl den Kreml bereits jetzt 160 Millionen Euro pro Tag.

Die Verunsicherung ist groß

Das Rohöl-Embargo und der damit einhergehende Preisdeckel trat am 5. Dezember in Kraft und hatte keine größeren Verwerfungen hervorgerufen. Demgegenüber hat der aktuelle Bann raffinierter Ölprodukte – und besonders des hierzulande stark nachgefragten Diesels – große Verunsicherung am Markt ausgelöst – bei gleichzeitig historischem Tiefstand der heimischen Dieselvorräte.

Eugene Lindell und Joshua Folds von der Energieberatungsfirma FGE verweisen darauf, dass Diesel nicht so leicht zu ersetzen ist: „Es ist sehr kompliziert, Diesel, Heizöl und Schweröl herzustellen, wogegen die Produktion von Rohöl einfacher und viel variabler ist. Immerhin: Es gibt so viel verschiedenes Rohöl auf dem globalen Markt, aus dem man sowohl Diesel als auch Schweröl und Heizöl raffinieren kann.“

Wird das Embargo den Dieselpreis hochtreiben?

Das wird stark davon abhängen, wie erfolgreich die Europäer dabei sind, alternative Importquellen zu etablieren und wie findig Moskau ist, neue Märkte als Ersatz für die EU zu erschließen. Gelänge beides, würde der Druck auf Versorgung und Preisentwicklung gering und nur kurz andauernd sein. Andernfalls könnte der Boykott zu erheblichen Störungen der Diesel-abhängigen Industrien führen, etwa im Transportwesen oder der Landwirtschaft. Die Treibstoffpreise würden steigen und die Inflation anfeuern.

Die Dieselpreise sind bereits deutlich gestiegen und verharren seit eineinhalb Jahren auf hohem Niveau. Die Vorräte sind bedenklich geschrumpft, weil Diesel oft als Ersatz für teurer gewordenes LNG verfeuert worden ist. Obwohl sich die Situation wegen des bislang milden Winters entspannt hat, bleiben die Pegel in den Bevorratungstanks bedenklich niedrig.

Der Dieselpreis könnte kurzfristig noch weiter klettern: wegen höherer Transportkosten zur See und weil andere Lieferanten aus Übersee weitere Wege nach Europa haben würden. Zudem ist die Öl-Weiterverarbeitung in anderen Ländern, wie etwa den USA, teurer als in Russland.

Streiks in Raffinerien: Viele Tankstellen in Frankreich ohne Sprit Die Streiks in Frankreich in den vergangenen Wochen haben die Lage auch nicht gerade entspannt

„Der Markt ist im Moment sehr empfindlich und verängstigt“, sagen die FGE-Analysten im DW-Gespräch. „Wir müssen erst einmal abwarten und beobachten, wie die russischen Exporte umgeleitet werden und dass es dabei keine nachhaltigen Unterbrechungen gibt. Sobald die Märkte das erkennen, wird sich die Lage beruhigen.“

Wo könnte die EU sonst Diesel kaufen?

Die EU hat vor dem Ukraine-Krieg beinahe die Hälfte ihrer Diesel-Importe aus Russland bezogen. Dieser Anteil ist in den vergangenen zwölf Monaten gesunken, aber ist immer noch auf hohem Niveau – und zu war auf etwa rund 200 Millionen Barrel im Jahr 2022, laut den Energie-Analysten von Vortexa.

Der Bann beschert der EU jetzt eine Lücke von rund 600.000 Barrel Diesel und anderer verwandter Ölprodukte – pro Tag. Die EU möchte diese Lücke mit Importen aus dem Nahen Osten, Asien und den USA schließen. Auf diese Quellen hat die Union, deren Raffineriekapazitäten bereits deutlich angespannt sind, schon seit Monaten zurückgegriffen.

Europa könnte immerhin noch vom sogenannten Diesel-Washing profitieren. Das ist Kraftstoff aus Russland, der mit Diesel aus anderen Ländern, wie etwa der Türkei, verschnitten und dann in die EU geliefert wird.

Und was wäre mit Indien und China?

Diese beiden Länder, die im vergangenen Jahr zu den abnahmefreudigsten Käufern russischen Diesels geworden sind, könnten eine wichtige Rolle bei den Importen in die EU spielen.

Indiens Diesel-Exporte nach Europa sind seit Kriegsgewinn gewaltig gestiegen, als ihre Raffinerien von eigenen niedrigen Lagerkosten und gesunkenen Rohölpreisen bei gleichzeitig anziehenden Dieselkosten profitieren konnten. Wie ein Zeichen an der Wand erschienen da die Streiks in der französischen Raffinerieindustrie, als daraufhin der Durst nach Diesel aus Indien stieg. Ein Land, das eben kein traditioneller Lieferant ist.

China hat seine erste Exportquoten in diesem Jahr für Diesel und verwandte Produkte erhöht, die vorher schon deutlich angestiegen waren. Das deutet darauf hin, dass die Exporte auf diesem hohen Level gehalten werden sollen und dass dadurch auch Kapazitäten anderer Produzenten nach Europa gelenkt werden könnten.

„Chinas Politik könnte den ganzen Markt verändern“, sagt Mark Williams, Research Director von Wood Mackenzie und fügt hinzu, dass das Land „den Schlüssel für eine globale Raffinieriekapazität in Händen hält“.

Deutschland Tankschiff am Tanklager in Kiel Ein Tankschiff liegt an einem Tanklager in Kiel und löscht seine Ladung

Wer nimmt dann noch Putins Diesel?

Russland ist es gelungen, seine Rohölexporte hoch zu halten. Und zwar mit Hilfe von Indien und China, die das eigentlich für Europa bestimmte Rohöl mit großzügigen Preisnachlässen in ihre Tanks umleiten konnten. Die Umleitung der Exporte auf diesen neuen Märkte birgt aber ein großes Risiko für Moskau: Die beiden Länder, jetzt die größten Abnehmer, halten selbst große Raffineriekapazitäten. Experten erwarten daher, dass Russland seinen Diesel lieber in die Türkei, nach Lateinamerika und nach Afrika exportieren möchte.

„Russland“, sagt Eugene Lidell, „ist bereits gezwungen, seinen Diesel mit heftigen Preisnachlässen anzubieten, um ihn Leuten schmackhaft zu machen, die diesen Treibstoff nicht unbedingt brauchen.“

Lidell, der bei FGE die Abteilung für Raffinierieprodukte leitet, erwartet eine riesige Menge russischen Diesels in der Türkei, wo er verschnitten und als „türkischer Diesel“ nach Europa verkauft werden wird. Das Land am Bosporus verzeichnet schon seit Montanen eine Steigerung beim Import aus Russland.

Hier wir noch Diesel aus russischer Produktion gezapft: Tankstelle in St. Petersburg Hier wir noch Diesel aus russischer Produktion gezapft: Tankstelle in St. Petersburg

„Diese Länder sind bereit, einzuspringen und ermäßigten Diesel zu kaufen“, sagt Lidell. Das sei der Grund dafür, dass FGE keinen Einbruch beim Ölexport Russlands in diesem Jahr erwartet. Andere Experte vermuten dagegen, dass es Moskau schwerfallen werde, neue Abnehmer zu finden und gezwungen sein könnte, den Export einzuschränken.

Was könnte der Preisdeckel bringen?

Der Preisdeckel soll helfen, dass Moskau Diesel und verwandte Produkte weiterhin an Drittländer verkaufen kann und dabei große Preissprünge verhindert werden. Mit seiner Hilfe können europäische Versicherer und Reeder weiterhin russische Ölprodukte in Drittländer transportieren – solange diese Treibstoffe unter oder höchstens in Höhe des beschlossenen Maximalpreises gehandelt werden.

Die Deckelung hätte nur geringe Auswirkungen auf die russischen Raffineriekapazitäten. Laut Mark Williams von Wood Mackenzie, würde der Handelspreis von etwa 40 Dollar pro Barrel raffinierten Öls immer noch „stark sein. Auf diesem Level stehen die russischen Raffinerien immer noch gut da, so dass der Anreiz, Rohöl weiterzuverarbeiten, immer hoch ist“.

Der Preisdeckel spiegelt eine vergleichbare Maßnahme, die auch für russisches Rohöl implementiert wurde. Dieser „Rohhöldeckel“ hielt den Preis von 60 Dollar pro Barrel und ermöglichte Moskau weiterhin, Öl zu verkaufen – aber nur mit den intendierten Preisnachlässen. So hatte es ja auch sein sollen.