Deutschland und Frankreich: Regierungschef Attal bei Scholz
Der Zufall hatte ihn schon im Dezember „aufgewertet“. Als Gabriel Attal das letzte Mal in Deutschland war, sprach der 34 Jahre alte französische Politiker vom Stuhl des Bundeskanzlers aus zu den Abgeordneten.Im Dezember hatte die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung zu ihrer Sitzung nach Deutschland geladen und Attal sollte als französischer Bildungsminister über das Dauerproblem des nachlassenden Interesses am gegenseitigen Spracherwerb Auskunft geben.
Fünf Jahre nach der Verabschiedung des Aachener Vertrages, der eine noch engere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich vorsah, wählten die Parlamentarier beider Länder den ehemaligen Plenarsaal des Bundestages in Bonn als Tagungsort. Minister Attal nahm auf dem Stuhl Platz, der in Attals Kindheit den ehemaligen deutschen Bundeskanzlern Helmut Kohl und Gerhard Schröder vorbehalten war. Bonn war bis 1999 Sitz von Deutschlands Regierung und Parlament.
Fehlende Dynamik
Vor den Abgeordneten hielt der langjährige Macron-Vertraute eine schnörkellose Rede über die Motivation auf beiden Seiten, die jeweils andere Sprache zu lernen: „Die Lage ist nicht gut. Sie ist besorgniserregend“, räumte der Minister mit Blick auf den dramatischen Rückgang der Deutschlerner an französischen Schulen ein. Der schon seit längerem zu beobachtende Abwärtstrend habe sich in den vergangenen drei Jahren noch einmal beschleunigt.
Von 15,7 auf 13,5 Prozent sei die Zahl der Deutschlernenden an weiterführenden Schulen in Frankreich in dieser Zeit gesunken. Und die Voraussetzungen für eine Trendwende sind schlecht. Deutsch, früher die Sprache der leistungsstärksten Schüler, gilt heute als unattraktiv. Auch an den Universitäten schrumpfen die Germanistik-Seminare. Attals düsteres Fazit: „Es fehlt an Dynamik. Wir haben nicht einmal genügend Bewerber für die offenen Stellen als Deutschlehrer.“ Die Zukunftshoffnungen: bescheiden. Um zehn Prozent solle die Zahl der Deutschlerner bis 2030 wieder steigen, sagte der Minister in Bonn.
Sprache und Kultur als Basis
Auch wenn Attal im Bonner Plenarsaal Französisch sprach, dürfte er selbst einen exzellenten Deutschunterricht genossen haben. Sein Abitur machte der jüngste Premierminister der Fünften Republik an einer renommierten Privatschule im sechsten Pariser Arrondissement. Die École Alsacienne wurde 1874 von Elsässern gegründet. Sie waren nach der Annexion ihrer Heimat durch Deutschland 1871 in die französische Hauptstadt gezogen, um nicht unter deutscher Herrschaft leben zu müssen. Das Elsass, ganz im Osten des heutigen Frankreich gelegen, grenzt direkt an Deutschland.
„Das Erlernen der Kultur und der Sprache des Nachbarn hat oberste Priorität und ist die größte Herausforderung“, analysierte Attal vor gut zwei Monaten in Bonn. Als neuer Premierminister hat Attal in seinem Kabinett Minister mit deutschen Kultur- und Sprachkenntnissen aufgewertet. Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der fließend Deutsch spricht, ist nun auch für die Energiepolitik zuständig, nach dem deutschen Atomausstieg ein Dauerstreitthema zwischen beiden Ländern.
Militärhilfe und Wirtschaft
Auch wenn es in Frankreich heute selbst im Regierungsapparat spürbar weniger Deutschland-Erklärer gibt als früher und das Fundament sichtbar bröckelt: Beim Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Montagabend wird die Tagespolitik dominieren. Das Gespräch werde alle „bilateralen, europäischen und internationalen Themen sowie wirtschaftspolitische Fragen“ umfassen, erklärte der Sprecher des Bundeskanzlers am Freitag.
In der V. Republik dominiert zwar der Staatspräsident die Außenpolitik, aber Scholz und Attal dürften sich auch über die Forderung des Kanzlers nach mehr französischer Militärhilfe für die Ukraine austauschen. Auch die Zukunft des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsverbund Mercosur belastet derzeit die Beziehungen.
Bauern zeigen Grenzen des Freihandels
Während der deutsche Bundeskanzler an dem Abkommen, das eigentlich an diesem Wochenende unterzeichnet werden sollte, festhalten will, tritt die französische Regierung einmal mehr auf die Bremse. Regierung und Präsident in Paris handeln hier nicht zuletzt unter dem Eindruck der massiven Bauernproteste, die Deutschland und Frankreich fast zeitgleich erfasst haben. Die Wut der Bauern, ihre bildgewaltigen Proteste auf den Autobahnen – sie setzen die noch nicht einmal vier Wochen amtierende Regierung Attal massiv unter Druck.
Vorerst versucht Paris, die Bauern mit weiteren Versprechungen zu besänftigen. Am Donnerstag kündigte Attal 150 Millionen Euro Hilfen für die Viehzüchter an. Außerdem versprach der Regierungschef „mehr Souveränität“. Vor allem die Viehzüchter befürchten durch das Abkommen Umsatzeinbußen, da nach EU-Berechnungen die Importe von Geflügel-, Rind- und Schweinefleisch aus Südamerika deutlich zunehmen werden. „Ich bin nicht prinzipiell gegen Freihandelsabkommen“, hatte Präsident Macron kürzlich die Richtung vorgegeben, an die sich auch sein Premierminister halten muss: „Aber wir können nicht von den europäischen Produzenten verlangen, immer mehr Regeln einzuhalten, und gleichzeitig Freihandelsabkommen aushandeln, wie wir es in den 1990er Jahren getan haben.“