Wenn die Deutschen wahrscheinlich am 23. Februar 2025 bei der vorgezogenen Bundestagswahl über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden, haben sie zwei Stimmen: Mit der ersten können sie eine Person wählen, mit der zweiten eine Partei. Entscheidend für Erfolg oder Misserfolg ist in der Regel die sogenannte Zweitstimme, also die für eine Partei. Um in den Deutschen Bundestag gewählt zu werden, muss dafür die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen werden.
Davon ist die Linke in Umfragen mal mehr, mal weniger weit entfernt. Bestenfalls kommt sie auf vier Prozent. Zu wenig, um als Partei erneut den Sprung ins Parlament zu schaffen. Es sei denn, bei den Erststimmen erhalten mindestens drei ihrer Kandidaten und Kandidatinnen in ihren Wahlkreisen die meisten Stimmen.
Bei der Bundestagswahl 2021 hatte die Linke Glück im Unglück
Von dieser Ausnahmeregelung im Wahlrecht profitierte die Partei schon bei der Bundestagswahl 2021, als sie mit 4,9 Prozent ganz knapp an der Sperrminorität scheiterte. Aber dank drei direkt gewonnener Mandate durften insgesamt 39 Abgeordnete ins Parlament einziehen. Dieses seltene Kunststück müsste die Linke wiederholen, sollte sie erneut unter fünf Prozent bleiben.
Allerdings dürfte ihr das noch schwerer fallen als beim letzten Mal, weil sie viele Wählerinnen und Wähler an das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verlieren könnte. Die Anfang 2024 gegründete Partei ist eine Abspaltung der Linken und hat bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen deutlich besser abgeschnitten.
Noch nie stand die Partei so nah am Abgrund
Um dem Schicksal der Bedeutungslosigkeit auf Bundesebene zu entgehen, haben sich nun drei prominente Linken-Politiker mit realistischen Erfolgsaussichten auf ein Direktmandat zusammengetan: Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch. Dieses Trio ist fast schon die letzte Hoffnung einer Partei, deren lange zurückliegende Vergangenheit in der kommunistischen DDR (Deutsche Demokratische Republik) liegt und die mehr denn je um ihre Zukunft bangt.
Am prominentesten ist Gregor Gysi, der bei der Bundestagswahl am 23. Februar 77 Jahre alt sein wird. Sein Name ist wie kein anderer mit der erfolgreichen Transformation der DDR-Staatspartei SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) zur heutigen Linken verbunden. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur 1989 führte der politische Quereinsteiger die Partei ins wiedervereinte Deutschland.
Gregor Gysi ist und bleibt das größte Zugpferd
Seit 1990 gehört Gysi fast ununterbrochen dem Deutschen Bundestag an und hat acht Mal seinen Berliner Wahlkreis mit großem Vorsprung gewonnen. Und obwohl er nach vielen Jahren als Partei- und Fraktionsvorsitzender nicht mehr an vorderster Front der Linken steht, ist der wortgewandte Jurist für die Linke immer noch unverzichtbar. Seine Chancen, wieder direkt in den Bundestag gewählt zu werden, sind sicherlich am größten.
Gysi sieht sich und seine Partei weiterhin als notwendige Stimme im wiedervereinten Deutschland: „Wenn es keine linken Argumente mehr gibt, dann wird die Diskussion im Bundestag viel enger“, meint er und fügt hinzu: „Der Osten war immer das Stiefkind der Politik seit 1990.“
Dietmar Bartsch hat viele Wahlkämpfe organisiert
So sieht es auch Gysis jahrzehntelanger Weggefährte und Vertrauter Dietmar Bartsch. Der 66-Jährige stammt aus Mecklenburg-Vorpommern, wo die Linke seit 2021 als Juniorpartnerin der Sozialdemokratischen Partei (SPD) an der Landesregierung beteiligt ist. Seine wichtigste politische Bühne ist allerdings Berlin. Dort, sagt Bartsch, gebe es im Bundestag nur eine linke Partei: Die Linke. „Alle anderen kämpfen eher um die Mitte.“ Man wolle ein Signal senden: „Wir schaffen das. Wir kommen in den Bundestag.“
Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist mit einer kurzen Unterbrechung seit 1998 Bundestagsabgeordneter, war mal Fraktionschef und organisierte als Geschäftsführer der Linken zahlreiche Wahlkämpfe. Anders als Gysi wurde Bartsch aber noch nie direkt in den Bundestag gewählt, sondern immer über die Landesliste seiner Partei. Ein Sieg in seinem Wahlkreis wäre also eine Premiere.
Bodo Ramelow ist einziger Ministerpräsident der Linken
Dritter im Bunde der aussichtsreichen Direktkandidaten für den Bundestag ist Bodo Ramelow. Der erste und einzige Ministerpräsident der Linken ist seit der Niederlage seiner Partei bei der Landtagswahl Anfang September in Thüringen nur noch geschäftsführend im Amt. Diese Zeit wird spätestens mit der Bildung einer neuen Regierung enden.
Ramelow, auch schon 68 Jahre alt, ist in Thüringen sehr populär. Sollte er für die Linke bei der Bundestagswahl seinen Wahlkreis gewinnen, wäre das alles andere als eine Überraschung. Und für ihn selbst eine Rückkehr an eine alte Wirkungsstätte, denn Ramelow war von 2005 bis 2009 Bundestagsabgeordneter. Nun will er gemeinsam mit Gysi und Bartsch seiner schwer angeschlagenen Partei zum Wiedereinzug in den Bundestag verhelfen.
Drei Männer im Rentenalter
„Wir mischen uns ein! Wir lassen uns nicht abhalten mit unserer Lebenserfahrung, mit unserem Wissen, mit unseren Fähigkeiten.“ Dass die Linke bei der kommenden Bundestagswahl den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schafft, glauben allerdings auch in den eigenen Reihen nur die größten Optimisten.
Deshalb wird die Zukunft der Partei als bundespolitische Kraft wohl entscheidend vom Erfolg eines Altherren-Trios abhängen. Gysi, Bartsch und Ramelow könnten längst Rentner sein. Deshalb bezeichnen sie ihre erneute Kandidatur für den Bundestag als „Mission Silberlocke“. Eine ironische Anspielung auf ihr Durchschnittsalter: 70 Jahre.