20. Dezember 2024

Nach rechtsextremem Wahlschock: Wie weiter in Rumänien?

Von Admins

Rumänien schwebt in diesen Tagen, wie schon so oft in seiner postkommunistischen Geschichte, zwischen Tragik und Groteske. Tragisch und grotesk zugleich ist, dass der schwerwiegende jahrzehntelange Reformstau im Land und das tiefe Misstrauen gegenüber der politischen Klasse rechtsextremen, prorussischen Scharlatanen in den vergangenen Wochen zu großen Wahlerfolgen verholfen hat. Ebenso tragisch und grotesk ist, dass die traditionelle politische Elite nicht willens scheint, aus dieser Situation ernsthafte Konsequenzen zu ziehen.

Nach der Parlamentswahl vom 1. Dezember und der vor zwei Wochen annullierten Präsidentschaftswahl (6.12.2024) verhandelt derzeit in Bukarest eine große, sogenannte „Proeuropäische Koalition“ aller demokratischen Parteien und Abgeordneten über eine Regierungsbildung. Allerdings geht es dabei dem Anschein nach mehr um Postengeschacher und kleinteilige Machtspiele als um grundlegende Reformen, die Rumänien bräuchte.

Porträt eines Mannes (Klaus Johannis) hinter Mikrofonen, im Hintergrund eine große Europafahne
Rumäniens Staatspräsident Klaus JohannisBild: Jean-Francois Badias/AP/picture alliance

Staatspräsident Klaus Johannis seinerseits ist in der für das Land sehr schwierigen politischen Situation praktisch abgetaucht und meldet sich im Sechs-Tage-Rhythmus mit kleineren Facebook-Botschaften zu Wort. Wann eine neue Präsidentschaftswahl stattfinden wird, ist unklar. Zugleich steht eine Aufarbeitung der Ereignisse rund um die erste Runde der Präsidentschaftswahl am 24.11.2024 aus.

Der TikTok-Kandidat

Gewonnen hatte die Wahl völlig überraschend der in der rumänischen Öffentlichkeit bis dahin weitgehend unbekannte Calin Georgescu – ein parteiloser Rechtsextremer, mit christlich-orthodox-fundamentalistischen, prorussischen und esoterischen Ansichten. Er verurteilt alles „Westliche“ als schädlich, verehrt die rumänischen Legionärsfaschisten der Zwischenkriegszeit und plädierte zumindest bis zu seinem Wahlsieg in der ersten Runde für einen Austritt Rumäniens aus der EU und der NATO. Georgescu hatte kurz vor der Wahl explosionsartig auf TikTok getrendet und wird daher oft als „TikTok-Kandidat“ bezeichnet.

Porträt eines Mannes (Calin Georgescu), der seinen linken Zeigefinger unter das linke Auge hält
Der rechtsextreme rumänische Präsidentschaftskandidat Calin Georgescu Bild: Vadim Ghirda/dpa/picture alliance

Das Verfassungsgericht hatte die Präsidentschaftswahl in einem Urteil zunächst als rechtens bezeichnet, sie dann aber zwei Tage vor der für den 8.12.2024 geplanten Stichwahl überraschend annulliert. Grundlage waren Informationen aus veröffentlichen Geheimdienstdokumenten. Denen zufolge hatte Calin Georgescu unter anderem von einem rumänischen IT-Spezialisten massive finanzielle und logistische Unterstützung erhalten, um seine TikTok-Videos stärker zu verbreiten. Außerdem soll ein „staatlicher Akteur“, womit indirekt Russland gemeint ist, Georgescu in sozialen Medien geholfen haben, sichtbarer zu werden. Zudem soll dieser Akteur Hackerangriffe auf die IT-Infrastruktur der rumänischen Wahlbehörde verübt haben.

Dünne Belege, unprofessionelle Arbeit

Insgesamt sind die öffentlich bekannten Belege dünn. Zudem entsteht beim Lesen der Dokumente der Eindruck, dass die rumänischen Geheimdienste schlecht und unprofessionell arbeiten. Ohnehin stellt ihre völlig intransparente Arbeit ein seit Jahrzehnten bekanntes Problem dar. Ihre vorgeschriebene parlamentarische Kontrolle findet nicht statt, Tätigkeitsberichte legen sie – gesetzeswidrig – entweder gar nicht oder viel zu spät vor.

Ein erleuchtetes Riesenrad, dahinter ein sehr großes Gebäude, links und rechts beleuchtete Bäume
Der Palast des ehemaligen Diktators Nicolae Ceausescu in Bukarest, heute Sitz des rumänischen ParlamentsBild: Cristian Ștefănescu/DW

Derzeit läuft gegen Georgescu ein Ermittlungsverfahren der rumänischen Sonderstaatsanwaltschaft DIICOT, die für die Bekämpfung schwerwiegender politischer Korruption und organisierter Kriminalität zuständig ist. Ermittelt wird unter anderem wegen illegaler Wahlkampffinanzierung. Auch die Europäische Union plant auf Antrag Rumäniens eine Untersuchung und ein Verfahren gegen TikTok wegen Wahlbeeinflussung.

Politisch abhängiges Verfassungsgericht

Ungeachtet dessen ist die rumänische Öffentlichkeit über die Frage der Wahlannullierung zutiefst gespalten. Sie wird sowohl von vielen Bürgern als auch politischen Parteien als Missachtung des demokratischen Wählerwillens gesehen. Tatsächlich ist das Verfassungsgericht eine Institution, die in Rumänien im Ruf steht, politisch abhängig und hörig sowie fachlich schwach zu sein.

Porträt eines Mannes (George Simion)
George Simion, Chef der rechtsextremen rumänischen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen AURBild: Andreea Alexandru/AP Photo/picture alliance

So war beispielsweise im Oktober die rechtsextreme Präsidentschaftskandidatin Diana Sosoaca von der Wahl ausgeschlossen worden, andere Rechtsextreme jedoch nicht. In Bukarest gilt es als offenes Geheimnis, dass die stärkste Regierungspartei, die Sozialdemokraten, sich damit ein Wunschszenario für die Präsidentschaftswahl zurechtlegen wollten: der amtierende Premier Marcel Ciolacu als Favorit für die Stichwahl, als Kontrahent der eher aussichtslose George Simion, Chef der rechtsextremen Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR).

Reformpartei in Koalition unerwünscht?

Derzeit ist die herrschende politische Elite krampfhaft um Normalität bemüht. Bei der Parlamentswahl vom 1.12.2024 gewannen nominell proeuropäische Parteien die Mehrheit: die Sozialdemokraten (PSD), die Nationalliberalen (PNL), die progressiv-liberale Union Rettet Rumänien (USR) und die nationalkonservative Minderheitenpartei der Ungarn (UDMR). Allerdings sind drei rechtsextreme Parteien in den beiden Parlamentskammern mit mehr als einem Drittel der Stimmen vertreten, unter ihnen als stärkste Kraft die Allianz für die Vereinigung der Rumänen.

Alle demokratischen Parteien sowie die 19 Pflichtabgeordneten der nationalen Minderheiten einigten sich nach der Wahl auf eine „Proeuropäische Koalition“ und schlossen eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen aus. Allerdings scheint die progressiv-liberale USR, derzeit praktisch die einzig ernsthafte Reformpartei in Rumänien, nicht wirklich erwünscht zu sein in der Koalition. Sie wurde zu Verhandlungstreffen teils nicht eingeladen, zudem wurde ihre Forderung, ein Reformprogramm durch einen entsprechenden Haushaltsentwurf abzudecken, bisher ignoriert.

Eine Frau in einem roten Kleid (Elena Lasconi), neben ihr andere Männer und Frauen
Elena Lasconi (Mi.), die Chefin der Partei Union Rettet Rumänien (USR)Bild: Bogdan Buda/REUTERS

An einer Verhandlungsrunde, auf der Posten verteilt wurden, bevor überhaupt ein Regierungsprogramm vorlag, nahm die USR bewusst nicht teil. Das inzwischen vorgelegte Reformprogramm kritisierte die USR-Chefin Elena Lasconi als Copy-Paste-Neuauflage vergangener Versprechen, die nie eingelöst worden seien. Gut möglich, dass die USR also an der Koalition nicht teilnehmen wird – man wolle kein Feigenblatt sein, heißt es von USR-Politikern.

„Rumänischer Prigoschin“

Unterdessen wird Rumänien von einer weiteren Episode der Kategorie „Tragik und Groteske“ in Atem gehalten. Die Rede ist von einem vermeintlichen Putschversuch im Land. Geplant haben soll ihn eine Gruppe um den ehemaligen rumänischen Söldner und Fremdenlegionär Horatiu Potra, auch betitelt als „rumänischer Prigoschin“. Potra war als Söldnerführer lange Zeit in der Demokratischen Republik Kongo aktiv und soll dort für schwere Kriegsverbrechen verantwortlich sein. Er gilt auch als Unterstützer des rechtsextremen Präsidentschaftskandidaten Calin Georgescu, im Umfeld der Wahl trafen sie sich nachweislich.

Am 8.12.2024, dem Tag der annullierten Stichwahl für das Präsidentenamt, wurden Potra und einige andere Männer verhaftet, als sie mit Waffen, militärischer Ausrüstung und großen Bargeldbeträgen in Pkws auf dem Weg nach Bukarest waren. Zunächst sprachen Behörden von einem „geplanten Putsch“, inzwischen ist nur noch davon die Rede, dass Potra versucht haben soll, öffentliche Unruhe zu inszenieren. Verhaftet wurde er am Tag der geplanten Aktion nach einem anonymen Anruf bei der Notrufnummer. Es ist rätselhaft, warum Geheimdienste und andere Behörden gegen den längst bekannten und offenbar nicht sehr konspirativ agierenden Potra vorgingen.

Inzwischen ist der Söldnerführer wieder auf freiem Fuß. Am Dienstag (17.12.2024) trafen ihn Journalisten in Bukarest nach einer polizeilichen Anhörung und fragten ihn danach, warum er mit Waffen nach Bukarest gekommen war. Potra prahlte: Er habe „einen Physiklehrer für die Klassenstufe 10 einen Test in klassischer Mechanik machen lassen“ wollen, denn dieser habe den Test zuvor „nicht bestanden“. Es war eine Anspielung auf den Staatspräsidenten Klaus Johannis – ehemals Physiklehrer für die Oberstufe.