Deutsch-japanische Beziehungen erhalten „neuen Schub“
Die geopolitischen Verwerfungen durch den Schulterschluss von Russland und China und den Krieg gegen die Ukraine lassen Deutschland und Japan enger zusammenrücken. Bei den ersten bilateralen Regierungskonsultationen, für die Bundeskanzler Olaf Scholz mit sechs seiner wichtigsten Ministerinnen und Ministern aus Berlin nach Tokio reiste, vereinbarten beide Länder eine vertiefte Kooperation für wirtschaftliche und militärische Sicherheit.
„Mit diesen Beratungen hat die enge Zusammenarbeit mit Japan eine neue Stufe erreicht“, erklärte Scholz und kündigte einen „neuen Schub“ für das Verhältnis zum „Wertepartner“ an. Man habe sich getroffen, um voneinander zu lernen und gemeinsam zu handeln. „Wir wollen Abhängigkeiten verringern und die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften erhöhen“, führte der Kanzler aus. Konkret nannte er den Schutz kritischer Infrastruktur, den Schutz der Handelswege und die Sicherheit der Energieversorgung.
Stärkere Lieferketten mit „Gleichgesinnten“
„Die japanisch-deutschen Beziehungen sind stärker und enger denn je“, betonte auch der japanische Premierminister Fumio Kishida. Nach seinen Angaben haben sich die beiden Länder auf eine Stärkung der Lieferketten „zwischen gleichgesinnten Ländern“ für Mineralien, Halbleiter, Batterien und andere strategische Bereiche geeinigt, um „wirtschaftlichem Zwang entgegenzuwirken“. Damit spielte Kishida auf Chinas globale Bedeutung bei der Förderung von seltenen Erden für Batterien und der Produktion von Solarmodulen an. Japan dürfte die Wirtschaftssicherheit auch beim G7-Gipfel in Hiroshima im Mai weit oben auf die Tagesordnung setzen.
Ein Ergebnis der Konsultationen ist, dass Experten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und der Japan Organization for Metals and Energy Security über „Gewinnung, Veredlung, Verarbeitung und Recylicng“ intensiver miteinander sprechen sollen. „Wenn man das Wissen beider Seiten zusammenführen kann, führt das zu einer erheblichen Steigerung der Handlungsmöglichkeiten“, sagte der Kanzler.
Außerdem wollen beide Länder über den Schutz von Infrastruktur sprechen, zum Beispiel, wie man Mobilfunknetze „offen, sicher, diversifiziert und resilient“ organisiert. Japan hat den Marktzugang des chinesischen Netzwerkanbieter Huawei bereits stark reguliert.
Die Nähe zu China
Auf Ebene der Unternehmen kam es ebenfalls zu einem regen Austausch. Die Delegationen waren hochkarätig besetzt. Auf deutscher Seite waren unter anderem Siemens Energy, Heraeus, Beiersdorf, Boehringer Ingelheim und Mahle vertreten, für Japan nahmen Toyota, Mitsubishi Electric, Hitachi, NEC, Itochu und andere teil. Dabei konnte zum Beispiel Mitsubishi Electric die eigene Erfahrung aus ergriffenen Maßnahmen für stabilere Lieferketten durch eine Optimierung von Beschaffung und Materialstrategie einbringen.
Als erstes Unternehmen in Japan hatte der Industriekonzern bereits im Oktober 2020 eine eigene Abteilung für wirtschaftliche Sicherheit eingerichtet, die mögliche Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten in der Wertschöpfungskette und Risiken bei Geschäftsaktivitäten global und nicht zuletzt in den USA und China prüft.
Deutschland zieht derzeit Lehren aus der großen Abhängigkeit von Erdgas aus Russland, die nur unter hohen Kosten beendet werden konnte. Dabei rückte die eigene Verwundbarkeit durch die engen wirtschaftlichen Verflechtungen mit China in den Blick. Schon vor dem Besuch hatte Kanzler Scholz Japan hier zum Vorbild für Deutschland erklärt.
Wie Deutschland ist auch Japan von importierten Brennstoffen und Ressourcen abhängig. Die japanische Auto- und Elektronikindustrie ist stark auf seltene Erden aus China angewiesen. Aber Japan verabschiedete bereits im Vorjahr ein eigenes Gesetz für Wirtschaftssicherheit, das nationale Lieferketten, Infrastruktur und Technologien besser schützen soll. Die Regierung in Tokio sucht schon aktiv nach alternativen Lieferquellen für strategisch wichtige Rohstoffe und Produkte wie Chips, Arzneimittel und Medizintechnik und baut eigene Lagerbestände auf.
Synergien im Rüstungsbereich
Auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wollen sich Deutschland und Japan enger verzahnen. Boris Pistorius war der erste deutsche Verteidigungsminister seit 16 Jahren, der Japan besuchte. Für die gegenseitige logistische Hilfe und Unterstützung etwa bei gemeinsamen Manövern wird ein rechtlicher Rahmen geschaffen. Berlin will im nächsten Jahr zum zweiten Mal eine Fregatte in die Pazifikregion schicken, die dann auch wieder in Japan anlegen wird. Die Mission sei als „Bekenntnis zur Freiheit der Meere“ zu verstehen, erklärte Kanzler Scholz.
Verteidigungsminister Pistorius sprach von „möglichen Synergien“ im Rüstungsbereich, da sowohl Berlin als auch Tokio gerade ihren Wehretat kräftig erhöhen. Ein konkretes Projekt ist jedoch bisher nicht in Sicht: Deutschland baut mit Frankreich und Spanien ein neues Luftkampfsystem, während Japan mit Großbritannien und Italien einen Kampfjet entwickeln will.