NATO: Stärkere Nordflanke mit Finnland
Die Landgrenze der NATO-Staaten zu Russland verdoppelt sich rein rechnerisch an diesem Dienstag auf 2600 Kilometer. Das 31. Mitglied der NATO, Finnland, teilt sich im hohen Norden eine 1300 Kilometer Grenze mit Russland. Von der Barentssee im Norden bis zum finnischen Meerbusen im Süden läuft sie hauptsächlich durch Wälder, größere Siedlungen gibt es kaum. Die Grenze ist weitgehend unbefestigt.
Die finnische Armee kann nach Einschätzung der Militärs im NATO-Hauptquartier diese Grenze im Moment gut alleine sichern. Die Streitkräfte an der neuen Nordflanke gelten als gut ausgebildet, trainiert und motiviert. Finnland hat die Wehrpflicht für Männer nie abgeschafft und verfügt bei 24.000 aktiven Soldaten über 900.000 ausgebildete Reservisten. Im Verteidigungsfall würden Heer, Marine und Luftwaffe auf 280.000 Frauen und Männer anwachsen können.
Das ist bei einer Bevölkerungszahl von 5,5 Millionen Menschen eine relativ große Armeestärke, meint Jacob Westberg, Professor an der Schwedischen Universität für Verteidigung in Stockholm. Zum Vergleich: Die deutsche Bundeswehr umfasst bei ausgesetzter Wehrpflicht gerade einmal 183.000 Personen und 30.000 Reservisten – und das bei einer Bevölkerungszahl von über 82 Millionen Menschen in Deutschland.
„Starke Streitkräfte“
„Finnland hat anders als andere nach dem Kalten Krieg seine Investitionen in die Armee nicht reduziert“, lobte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das neuste Mitgliedsland. Finnland erhalte natürlich jetzt die Beistandsgarantie aller NATO-Partner, aber „Finnland macht auch die NATO stärker“, so Stoltenberg. So bringt die Luftwaffe zum Beispiel 60 moderne Kampfjets in die Verteidigung des NATO-Gebiets ein.
„Es gibt ein extrem hohes Niveau in der Bevölkerung, wenn es um Widerstandsfähigkeit und Verteidigungsbereitschaft geht“, sagte der NATO-Generalsekretär über die Finnen. Auch als über Jahrzehnte „neutrales“ Land habe sich Finnland große Streitkräfte geleistet, geprägt von den Erfahrungen im Winterkrieg 1939/1940, so Verteidigungsexperte Jacob Westberg. Damals hatte Finnland zehn Prozent seiner Fläche an sowjetische Angreifer verloren.
Moskau kündigt Gegenmaßnahmen zu Finnlands NATO-Beitritt an
Die finnischen Streitkräfte seien vollständig auf NATO-Niveau und könnten nahtlos in alle Abläufe integriert werden, heißt es im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Auf die Frage, an welchen NATO-Einheiten, den Kampfgruppen an der Ostflanke, sich Finnland beteiligen wolle und welche NATO-Einrichtungen nach Finnland verlegt werden könnten, gab Generalsekretär Stoltenberg bei seiner Pressekonferenz noch keine Antwort.
Der russische Vizeaußenminister Alexander Grushko kündigte in Moskau an, sein Land werde als Antwort auf den finnischen NATO-Beitritt seine militärische Präsenz im Nordwesten verstärken. Finnland hat angekündigt, moderne Panzer an die Ukraine zu liefern, die seit über einem Jahr von Russland mit Krieg überzogen wird.
Der Regierungswechsel, der nach den Parlamentswahlen vom Sonntag in Helsinki ansteht, ändere nichts am NATO-Kurs Finnlands, sagte die Sicherheitsexpertin Minna Alander vom Finnish Institut of International Affairs dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Es gebe einen parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage. „Die Russlandpolitik der finnischen Regierung wird zunehmend auf Abschreckung basieren, statt wie bisher auf Dialog mit Moskau“, meinte Minna Alander.
Wann folgt Schweden in die NATO?
Der Beitritt Finnlands war der schnellste in der 74 Jahre währenden Geschichte der Allianz. Den Antrag hatten sowohl Finnland als auch Schweden erst im Mai vergangenen Jahres gestellt.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hofft, dass auch Finnlands westlicher Nachbar Schweden bald beitreten kann. Er forderte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan noch einmal auf, sein Veto gegen Schweden aufzugeben. Schweden habe alle Zusagen gegenüber der Türkei eingehalten, so Stoltenberg. Die Türkei verlangt die Auslieferung von kurdischen Dissidenten, die sie als „Terroristen“ einstuft.
Ein Beitritt Schwedens zur Allianz wäre nicht nur sicherheitspolitisch, sondern auch militärisch ein Gewinn, meinte der Militärexperte Jacob Westberg im Gespräch mit der DW. „Es wäre für Russland schwieriger, in der Ostsee zu operieren. Schweden hat ja auch fünf sehr moderne Unterseeboote, die die Flotte aus Polen und Deutschland ergänzen würden.“
Der US-amerikanische Präsident Joe Biden, der das mit Abstand wichtigste NATO-Land regiert, betont immer wieder, dass sich der russische Angreifer und mutmaßliche Kriegsverbrecher Wladimir Putin total verrechnet habe. „Er wollte die Finnlandisierung der NATO“, sagte Biden bei einem Besuch in Warschau im Februar. „Stattdessen bekommt er die NATO-Eingliederung Finnlands.“ Die NATO werde größer und nicht etwa neutral, wie es Finnland viele Jahrzehnte gewesen sei.
Ein Blick auf die Landkarte zeigt, dass mit dem Beitritt Finnlands die transatlantische Verteidigungsallianz wesentlich dichter an die zweitgrößte Stadt Russlands, St. Petersburg, heranrückt. Bislang war Estland, südwestlich von St. Petersburg gelegen, das einzige NATO-Mitglied, das nah an der russischen Metropole lag.