5. Mai 2023

Selenskyj fordert Tribunal für gerechten Frieden

Von Admins

„Wir alle wollen eigentlichen einen anderen Wladimir in Den Haag sehen, und zwar den, der es verdient hätte, für seine kriminellen Taten genau hier in der Hauptstadt des internationalen Rechts verurteilt zu werden“, sagte Wolodymyr Selenskyj in Anspielung auf seinen Namensvetter, den russischen Machthaber Wladimir Putin. Gegen diesen hat der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag im März einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen ausgestellt. Dass sich Putin einem Gerichtsverfahren vor dem internationalen Gericht stellen wird, gilt als ausgeschlossen.

Wolodymyr Selenskyj, der ukrainische Präsident, dessen Land von Russland völkerrechtswidrig angegriffen wird, ist überraschend nach Den Haag gereist, auch um den Internationalen Strafgerichtshof zu besuchen und dessen Arbeit zu würdigen, was in laufenden Verfahren eher ungewöhnlich ist. Schließlich ist der Präsident der Ukraine so etwas wie der Vertreter der Opfer, auch wenn die Ukraine formal nicht Klägerin oder Partei im Verfahren gegen mögliche russische Kriegsverbrecher am Internationalen Strafgerichthof ist. Dessen Chefankläger Khan arbeitet eng mit den ukrainischen Gerichten und Ermittlungsbehörden zusammen, die mittlerweile 85.000 Kriegsverbrechen registriert haben. Khan hält den russischen Machthaber Wladimir Putin für eine Reihe dieser Verbrechen, namentlich die Verschleppung von Kindern aus der Ukraine nach Russland, für persönlich verantwortlich.

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Ukraine fordert Tribunal

In einer kurzen leidenschaftlichen Rede vor niederländischen Diplomaten, Politikern und Medienvertretern in Den Haag, dem niederländischen Regierungssitz, forderte Wolodymyr Selenskyj erneut die Einrichtung eines Tribunals zur Aburteilung russischer Kriegsverbrecher. Der Akt der Aggression, der Angriffskrieg als solcher, kann vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht geahndet werden, weil dieser sich nur mit den Taten einzelner Personen beschäftigt, aber nicht mit der russischen Staats- und Militärführung als solcher. Der ukrainische Präsident, der sich für die bisherige Arbeit des Internationalen Strafgerichtshofs bedankte, sagte, ein Tribunal nach Art des Nürnberger Internationalen Militärtribunals sei notwendig.

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In Nürnberg tagte nach Ende des Zweiten Weltkrieges von 1945 bis 1946 ein von den Alliierten Siegermächten eingerichtetes Tribunal, um die Verbrechen der Nazis zu ahnden. Damals wurde neues Völkerrecht geschaffen, weil es ein solches Tribunal zuvor nicht gegeben hatte. Wolodymyr Selenskyj forderte die internationale Gemeinschaft zu „mutigen Entscheidungen auf“. Angriffskriege hätten alle gemeinsam, dass die Täter sie anfingen, weil sie glaubten, straffrei agieren zu könnten. Das müsse aufhören. „Totale Bestrafung“ von Aggression sei nötig, um künftige Kriege zu verhindern. Frieden könne es für sein Land nur geben, wenn es auch Gerechtigkeit gebe, so Selenskyj.

Sondertribunal umstritten

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte sich Anfang des Jahres dafür ausgesprochen, ein Sondertribunal für die Ukraine einzurichten, allerdings keines wie in Nürnberg, sondern ein Tribunal, was nach ukrainischem Recht, aber mit internationalen Richtern besetzt, arbeiten sollte. Die Justizministerinnen und Justizminister der Europäischen Union unterstützten ein solches Sondertribunal nicht. Die EU setzt vorläufig auf die verstärkte Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der von Russland jedoch nicht anerkannt wird. Die Niederlande und die EU richten zusammen mit dem Chefankläger des Strafgerichtshofes ein spezielles Ermittlungszentrum in Den Haag ein, um Verbrechen in der Ukraine zu dokumentieren und die Täter anklagen zu können.

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Die Meinungen über ein als „hybrid“ eingestuftes Sondertribunal nach ukrainischem Recht, aber mit internationalen Richtern, gehen bei den Völkerrechts-Experten auseinander. Bei einer Anhörung des Bundestages im Februar bezeichnete Professor Frank Hoffmeister von der Freien Universität Brüssel, die Konstruktion als „völkerrechtlich solide und politisch sinnvoll“. Professor Gerd Seidel von der Humboldt Universität in Berlin hielt in der Anhörung ein Sondertribunal für wenig sinnvoll, weil es keinen rechtsstaatlichen Mehrwert im Vergleich mit dem Internationalen Strafgerichtshof einbringen würde.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj lehnte in Den Haag „hypride Versprechen“ ab. Man brauche jetzt ein echtes Tribunal, um einen verlässlichen Frieden in Freiheit und Gerechtigkeit zu garantieren.

Parallelen: Niederlande gedenken ihrer Opfer

Die Einrichtung eines völkerrechtlich abgesicherten Tribunals durch die Vereinten Nationen, wie es nach dem Jugoslawien-Krieg der Fall war, ist derzeit eher unwahrscheinlich. Russland und das mit ihm verbündete China könnten mit ihrem Veto ein solches Sondertribunal im Weltsicherheitsrat verhindern. Nötig wäre eine breite Mehrheit in der Generalsversammlung der Vereinten Nationen, um den Sicherheitsrat zu überstimmen. Ein solcher Beschluss wäre aber rechtlich nicht bindend.

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Wolodymyr Selenskyj rief sein Publikum in Den Haag zu einer Schweigeminute auf. Nicht nur zum Gedenken an die vielen täglichen Kriegsopfer in der Ukraine, sondern auch zum Gedenken an die 298 getöteten Menschen, deren Flugzeug MH 17 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur 2014 mit russischen Waffen über der Ukraine abgeschossen worden war. Nicht zufällig besuchte der ukrainische Präsident in seinem üblichen olivfarbenen Sweatshirt die Niederlande am 4. Mai. Dies ist für die Niederländer der Feiertag zu Erinnerung an alle Opfer des Zweiten Weltkriegs. Morgen, am 5. Mai, wird der Tag der Befreiung von der Nazi-Besatzung begangen. Von einigen Abgeordneten des niederländischen Parlaments gab es Kritik daran, dass Selenskyjs Visite die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Gedenktag ablenke. Die Polizei von Amsterdam schloss aus, dass der ukrianische Präsidentin an öffentlichen Gedenkfeiern teilnehmen werde. Das sei aus Sicherheitsgründen nicht möglich.

Kommende Woche wird der ukrainische Präsident in Deutschland erwartet. Neben politischen Gesprächen in Berlin erhält Wolodymyr Selenskyj in Aachen den Karlspreis für Verdienste um die europäische Einigung. Dann wird der Präsident sicher wieder für den schnellen EU-Beitritt seines unter russischen Raketenangriffen leidenden Landes werben.