Baerbock in Syrien: „Neuanfang ist möglich“
Nach dem Umsturz in Syrien stellt Außenministerin Annalena Baerbock der von Rebellen gebildeten Übergangsregierung Bedingungen für eine Neuaufnahme der Beziehungen zu Deutschland und der Europäischen Union. „Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich“, erklärte die Grünen-Politikerin, die am Morgen zusammen mit ihrem französischen Amtskollegen Jean-Noël Barrot zu einem unangekündigten Besuch in Damaskus ankam.
Baerbock pocht auf Rechte für Frauen und Minderheiten
Voraussetzung sei aber, dass allen Syrern, Frauen wie Männern, gleich welcher ethnischen oder religiösen Gruppe, ein Platz im politischen Prozess eingeräumt, Rechte gewährt und Schutz geboten werde. Baerbock sagte, Rechte von Frauen und Minderheiten müssten gewahrt werden und dürften „nicht möglicherweise durch zu lange Fristen bis zu Wahlen oder auch Schritte zur Islamisierung des Justiz- oder Bildungssystems unterlaufen werden“.
Der neue syrische De-Facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa hatte kürzlich gesagt, bis zur Vorlage eines neuen Verfassungs-Entwurfs könnten rund drei Jahre und bis zu Wahlen ein weiteres Jahr vergehen. Das arabische Land ist nach mehr als zehn Jahren Bürgerkrieg zersplittert und konfessionell gespalten. Auch nach dem Sturz Assads kämpfen verfeindete Milizen um die Macht.
Ahmed al-Scharaa ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) und war zuvor bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani. Die deutsche Außenministerin betonte: „Wir wissen, wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat“. Man sehe aber auch den Wunsch nach Mäßigung und Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren. So sei die Aufnahme von Gesprächen mit den kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) ein wichtiges Zeichen in diese Richtung.
Die HTS an ihren Taten messen
HTS ging aus der Al-Nusra-Front hervor, einem Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Al-Scharaa hatte sich von Al-Kaida und der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) losgesagt. Bis heute gibt es aber Berichte, denen zufolge die HTS-Führung den Kontakt zu Al-Kaida hält. Angesichts dessen sagte Baerbock: „Wir werden die HTS weiter an ihren Taten messen. Bei aller Skepsis dürfen wir jetzt nicht die Chance verstreichen lassen, die Menschen in Syrien an diesem wichtigen Scheideweg zu unterstützen.“
Deutschland setze sich zudem dafür ein, dass der innersyrische Prozess nicht von außen gestört werde, erklärte die Bundesaußenministerin. Dazu gehöre auch die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität durch alle Nachbarstaaten, ergänzte sie offensichtlich mit Blick auf die Türkei und Israel, denen vorgehalten wird, eigene Interessen in Syrien zu verfolgen. Es sei zudem Zeit für Russland, seine Militärbasen in Syrien zu verlassen.
Moskau war jahrelang einer der wichtigsten Verbündeten von Machthaber Baschar al-Assad. Syrien ist nach bald 14 Jahren Bürgerkrieg in weiten Teilen zerstört und durch Landminen und andere Kampfmittel verseucht. Dem Land fehlen Arbeits- und Fachkräfte, die Wirtschaft schrumpft und die Währung hat seit 2020 mehr als 90 Prozent ihres Werts verloren. Die Versorgung mit öffentlichen Diensten ist zusammengebrochen. Mehr als 16 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Knapp eine Million syrische Flüchtlinge in Deutschland
Bei Baerbocks Gesprächen in Damaskus dürfte es auch um die von der Übergangsregierung befürwortete Rückkehr syrischer Flüchtlinge aus Deutschland gehen. Derzeit leben laut Bundesinnenministerium rund 975.000 Syrer in Deutschland.
Die deutsche Außenministerin war von Zypern aus nach Damaskus geflogen. Ihr französischer Amtskollege Barrot hatte mit Verteidigungsminister Sébastien Lecornu im nicht weit entfernten Libanon mit den dort stationierten französischen Soldaten der UN-Beobachtermission UNIFIL den Jahreswechsel gefeiert. Baerbock und Barrot sind die ersten EU-Außenminister, die Syrien seit Assads Sturz besuchen.
haz/pg (dpa, epd, rtr)