Bereit für Rückgabe: Schädel aus Ruanda, Tansania und Kenia
Bei ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren erklärte Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte zur Staatsaufgabe. Mit Nigeria einigte sich die Bundesregierung 2022 über eine Rückführung der sogenannten Benin-Bronzen, mit Namibia verhandelt sie bereits seit Jahren über eine Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und eine mögliche Entschädigung – und zieht dabei auch Kritik auf sich.
Nun rückt Tansania in den Fokus: Als Teil der sogenannten Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ begangen deutsche Kolonialherren hier furchtbare Verbrechen – und raubten Schädel von Friedhöfen, um sie wissenschaftlich zu untersuchen. Diese menschlichen Überreste, von Fachleuten auch mit dem englischen Ausdruck „human remains“ bezeichnet, sollen nun zurückkehren.
Warum das wichtig ist, erläutert Hermann Parzinger, Vorsitzender der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
DW: Herr Professor Parzinger, wie bekannt wurde, sollen im Zuge der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Tansania Hunderte Schädel zurückgegeben werden, die – laut Staatsministerin Katja Keul vom Auswärtigen Amt – in Kisten verpackt in den Kellern deutscher Museen lagern. Alternativ soll ein „angemessener Ort“ – so wurden Sie zitiert – für deren Bestattung gefunden werden. Was genau ist da im Moment der Stand der Dinge?
Hermann Parzinger: Wir haben vor über zehn Jahren – um genau zu sein 2011 – die große Sammlung an „human remains“ des Medizinhistorischen Museums der Charité in den Bestand der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übernommen. Danach haben wir begonnen, die Provenienzen dieser „human
Es ging nicht darum zu entscheiden, was zurückgegeben werden soll und was nicht, sondern klar war: Das sind Dinge, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aus Friedhöfen existierender Dorfgemeinschaften entnommen wurden, um daran hier in Europa – und ganz konkret in Deutschland – anthropologische Untersuchungen vorzunehmen. Das ist Grabstörung, Grabfrevel, was damals wie heute auch in Deutschland strafbar gewesen wäre. Insofern ist für uns der eindeutige Rückgabefall des gesamten Bestandes ganz klar.
Provenienzforschung heißt hier: Wenn wir die Dinge zurückgeben, dann ist es unsere Verpflichtung, im Vorfeld alle Informationen, die wir dazu finden können – auch in Archiven in ostafrikanischen Staaten zum Beispiel – zusammenzutragen, um die genaue Herkunft möglichst präzise zu bestimmen. Das ist geschehen, es gibt eine gemeinsame Publikation dazu mit Kolleginnen und Kollegen aus Ruanda, aus Tansania.
Auch ist zu sagen, dass die „human remains“ bei uns nicht irgendwo in Kellern liegen, sondern wir haben sie konservatorisch behandelt und entsprechend aufbewahrt in einem Depot, aber sie sind natürlich nicht zugänglich. Auch der Forschung sollen sie nicht zur Verfügung stehen. Es geht darum, sie würdig aufzubewahren und dann an die Staaten, aus denen sie kommen, zurückzugeben. Diese Informationen haben wir schon bei Projektabschluss vor zwei, drei Jahren an die betroffenenen Staaten übermittelt – etwa 250 stammen aus Tansania, circa 900 aus Ruanda und etwa 35 aus Kenia. Sie sind darüber informiert, dass wir die Forschungen beendet haben und zur Rückgabe jederzeit bereit sind. Und da stehen wir jetzt.
Hätten die betroffenen Staaten die Schädel denn gerne zurück; also neben Tansania auch Ruanda und Kenia?
Wir sind mit all diesen drei Staaten in Kontakt gewesen und weiterhin in Kontakt. Ich habe Gespräche mit den Botschafterinnen und Botschaftern geführt, wir haben auch Briefe geschrieben. Im Grunde möchten wir die Dinge zurückgeben.
Es ist auch von deren Seite ganz klar der Wunsch geäußert worden, dass man die Dinge zurückhaben möchte, aber konkret sind wir noch nicht geworden. Natürlich steht es uns nicht an, hier jetzt Druck oder ähnliches ausüben zu wollen. Das sind Dinge, die in den Ländern geklärt werden müssen: Was macht man mit diesen „human remains“, wenn sie zurückkehren?
Auch da steht es uns nicht zu, irgendwelche Vorschriften oder Vorschläge zu machen, sondern es muss dort geklärt werden. Aber offenbar ist man noch nicht so weit. Wir würden sie jedenfalls gerne jederzeit zurückgeben, und bisher fehlt noch ein Zeichen von den Ländern.
Gäbe es ansonsten die alternative Bestrebung, sie gegebenenfalls hier zu bestatten? Sie wurden dahingehend zitiert, dass es um die Suche nach einem ‚“angemessenen Ort“ gehe.
Nein, das wäre definitiv keine Option. Das können wir nicht, da es ein Vorgreifen auf Entscheidungen der jeweiligen Staaten oder auch der Communities wäre, wo die einzelnen Schädel herkommen. Das würden wir also keinesfalls tun. Wir haben die Arbeiten abgeschlossen, und wir hoffen, dass wir doch irgendwann ein Zeichen von den Ländern bekommen. Sie hier zu bestatten, das wäre für uns keine Option.
Was war dann genau mit dem „angemessenen Ort“ gemeint?
Wenn man die Schädel, die „human remains“, zurückgibt, dann stellt sich die Frage, was damit geschieht. Können sie an einem angemessenen Ort bestattet werden? Wo ist dieser Ort? Liegt er nahe an den Herkunftsorten, also in den Bereichen der jeweiligen Communitys, oder eher zentral? Das muss man eben klären. Die betreffenden Länder müssen intern entscheiden – in Gesprächen mit ihren Gemeinschaften -, wie sie damit umgehen wollen. Da können wir zwar beratend tätig sein, aber die Entscheidung liegt ganz bei der rücknehmenden Seite.
Wurden diese Schädel jemals irgendwo in Deutschland ausgestellt?
Nein. Das waren Schädel, die in der Tat nur für anthropologische Forschungen zur Verfügung standen. Das waren sogenannte „rassenkundliche Forschungen“, wo man eben in erster Linie Schädel gesammelt hat, weil man mithilfe ihrer Vermessung Merkmale von Populationen meinte definieren und voneinander unterscheiden zu können. Das übrige Skelettmaterial, also die Langknochen, das ganze postcraniale Skelett, war für solche Forschungen weitgehend uninteressant. Darum befinden sich in solchen Sammlungen weltweit überwiegend Schädel.
Ich weiß nicht, ob im frühen 20. Jahrhundert mal Dinge ausgestellt worden sind, aber sicher nicht in der Nachkriegszeit, also nach dem Zweiten Weltkrieg, und in den letzten Jahrzehnten und bei uns sowieso nicht. Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und in den Staatlichen Museen zu Berlin hatten wir nie „human remains“, also nie eine anthropologische Sammlung, in unserem Bestand. Es ging immer um Kunst und kulturgeschichtliche Objekte – eben bis auf diese Rücknahme dieses Bestandes aus der Charité, aber mit dem klaren Ziel, Provenienzen aufzuarbeiten und die „human remains“ zurückzugeben.
Schädel sind nun ganz besondere Gegenstände, wenn man überhaupt von „Gegenständen“ sprechen kann. Auf die ganze Debatte um die Rückgabe von Kunst und Kunstgegenständen blickend, wie weit sind wir mit der Restitution in Deutschland?
Die Rückgabe von Kunst und Kulturgütern ist ein völlig anderes Thema. Ich glaube, dass wir da relativ weit sind und würde sogar sagen, dass wir in Europa ganz vorne mit dabei sind. Im letzten Jahr haben die fünf großen deutschen Museen in Berlin, Hamburg, Köln, Stuttgart und Leipzig ihre Bestände an Benin-Bronzen komplett rückübertragen und auch schon erste Objekte zurückgegeben. Die Dinge, die sich noch hier befinden, die gehören bereits Nigeria – sie sind als Leihgaben ausgestellt. Ich glaube, das war ein klares Bekenntnis zum Anerkennen von kolonialem Unrecht in dem Sinn, dass es sich eindeutig um Plünderungen handelte. Benin City, die Hauptstadt des historischen Königreichs Benin, ist 1897 von britischen Truppen geplündert worden, und die während des Raubzugs erbeuteten Dinge sind dann über den Handel – über London und andere Stationen – in ganz Europa und später weltweit verbreitet worden.
Es gibt auch andere Beispiele, unter anderem die Objekte im Kontext des Maji-Maji-Krieges aus Tansania, wozu wir eine klare Haltung haben: Was eindeutig aus Unrechtskontexten stammt, geplündert, geraubt, unter Gewaltanwendung entwendet worden ist, sind für uns eindeutige Rückgabefälle. Darüber hinaus gibt es natürlich auch Objekte, die nicht eindeutig in einem Unrechtskontext stehen, die aber entweder für die Identität bestimmter Gemeinschaften dort sehr wichtig sind oder die eine Epoche der Geschichte belegen. Auch in solchen Fällen sind wir durchaus zu Rückgaben bereit und haben auch bereits Rückgaben vorgenommen.
Aber ganz klar sage ich auch, es ist nicht so, dass man alle Kulturobjekte, die in irgendeinem kolonialen Kontext stehen, per se geraubt hat und diese illegal hier sind aufgrund von Machtungleichgewicht und so weiter. Sondern man muss schon genau hinsehen, wie die Dinge wirklich erworben worden sind. Da gibt es große Unterschiede.
Im Humboldt-Forum soll es zum Maji-Maji-Krieg ja ein gemeinsames Projekt mit Tansania geben. Können Sie da noch etwas zu sagen?
Im Ethnologischen Museum haben wir Objekte aus dem Maji-Maji-Krieg. Mehr oder weniger parallel zu dem Genozid an den Herero und Nama in ehemals Deutsch-Südwestafrika, gab es zwischen 1905 und 1908 in Ostafrika einen Aufstand gegen die Deutsche Kolonialmacht, worauf diese sehr brutal reagiert hat. Ähnlich wie in Namibia gab es Kämpfe und Kampfhandlungen, aber dann hat man die Truppen in Trockengebiete zurückgedrängt. Man rechnet zwischen 200.000 und 300.000 Toten. Also da kann man schon auch von einem Völkermord sprechen.
Das ist natürlich für die Menschen in Tansania enorm wichtig. Und weil einfach in Deutschland wenige Menschen von diesem Krieg jemals etwas gehört haben und gar nicht wissen, wie grausam auch die deutsche Kolonialgeschichte in Tansania zum Beispiel war – von Vorgängen aus Deutsch-Südwestafrika hat man vielleicht noch gehört, aber das andere Kapitel ist doch eines, das bisher wenig bekannt ist -, wollen wir anhand dieser Objekte, und zwar gemeinsam mit Tansania, diese Geschichte aufarbeiten. In führender Rolle sind Kuratorinnen und Kuratoren aus Tansania, wir haben außerdem eine Kooperation mit der Universität und dem Nationalmuseum.
Das Eigentum an den Objekten, mit denen wir diese Geschichte hier erzählen wollen, ist übrigens bereits rückübertragen. Die Ausstellung soll im nächsten Jahr eröffnet werden, und wenn sie hier eine Zeit lang gelaufen ist, soll sie mit den Objekten nach Tansania zurückkehren, wo sie dann für immer bleiben wird, weil hier auch ein ganz eindeutiger Unrechts- und Gewaltkontext vorliegt.