Bundeskanzler Olaf Scholz wegen Taurus unter Druck
„Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“ Olaf Scholz hat ein Machtwort gesprochen. Er lehnt die Lieferung der deutschen Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 Kilometern an die Ukraine ab. Er glaubt, die Waffen könnten nur unter Mitwirkung deutscher Soldaten eingesetzt werden und das könne Deutschland in den Krieg hineinziehen. Auch in einer parlamentarischen Fragestunde sagte er noch einmal zu Taurus: „Das ist eine Grenze, die ich als Kanzler nicht überschreiten will.“
Aber das Machtwort scheint wirkungslos zu sein. Denn dem Bundeskanzler gehen in der Frage der Taurus-Lieferung die eigenen Leute von der Fahne: Politiker seiner Koalition aus SPD, Grünen und FDP machen gemeinsame Sache mit der CDU/CSU-Opposition.
Der Grünenpolitiker Anton Hofreiter schrieb jetzt zusammen mit dem CDU-Außenexperte Norbert Röttgen einen Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Darin werfen sie Scholz einen „katastrophalen Defätismus“ und eine Falschaussage vor. Wenn Scholz behaupte, Taurus-Lieferungen machten Deutschland zur Kriegspartei, sei dies „faktisch und rechtlich falsch“.
Abweichler bei Grünen und FDP
Starker Tobak für den Bundeskanzler, so etwas von einem Mitglied der eigenen Regierungskoalition zu lesen. Doch es könnten noch mehr Abtrünnige werden. Die Union aus CDU und CSU hatte im Februar einen Antrag im Bundestag zur ausdrücklichen Lieferung von Taurus eingebracht, war aber deutlich gescheitert. Damals stimmte von den Abgeordneten der Regierungsbänke allein die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann mit der Opposition.
Jetzt will die Union den Antrag erneut im Parlament einbringen – und hofft auf mehr Unterstützung. Strack-Zimmermann will auf jeden Fall wieder zusammen mit der Opposition stimmen. Anton Hofreiter hat sich trotz seiner Breitseite gegen Scholz angeblich noch nicht entschieden. Die grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ließ immerhin erkennen, dass sie ebenfalls für die Lieferung ist.
Scharfe Angriffe der CDU
Währenddessen gerät die Ukraine militärisch immer mehr in Bedrängnis. Und das hat Auswirkungen auch auf Deutschland, meint der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter: „Es muss klar sein: Wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird, erhöht sich die Kriegsgefahr für uns alle massiv!“, so Kiesewetter gegenüber der DW.
Kiesewetter lässt Scholz‘ öffentlich geäußerte Bedenken nicht gelten, spricht von „Scheingründen“: „Was wirklich dahintersteckt? Entweder er lässt sich von russischer Desinformation selbst abschrecken, oder aber er will nicht, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, sondern einen Diktat-Scheinfrieden mit Putin verhandeln“ – ein Vorwurf, den Scholz entschieden zurückweisen würde.
Die Idee eines Ringtauschs
Auch die Partner Deutschlands versuchen, auf den Bundeskanzler einzuwirken und seine Sorgen wegen einer Taurus-Lieferung zu zerstreuen. So lässt sich etwa die Äußerung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg deuten, der im Zusammenhang mit der Taurus-Debatte sagte: „Die Ukraine hat das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte Recht auf Selbstverteidigung.“ Dazu gehöre die militärische Hilfe der NATO-Staaten für die Ukraine. Er begrüßt die Lieferung von Marschflugkörpern vom Typ Storm Shadow und Scalp durch Großbritannien und Frankreich. Sie haben jedoch nur eine etwa halb so große Reichweite wie Taurus.
Als Kompromiss bot der britische Außenminister David Cameron kürzlich einen Ringtausch an. Danach könnte Deutschland Taurus an Großbritannien und Großbritannien noch mehr seiner Storm Shadow an die Ukraine liefern. Für Bundesaußenministerin Baerbock wäre das „eine Option“. Auch eine Reihe anderer Grünenpolitiker wollen sich offenbar in einer gemeinsamen Erklärung für einen Ringtausch aussprechen.
Ein Ex-General stärkt Scholz den Rücken
Auch einen solchen Ringtausch lehnt Scholz bisher allerdings ab. Manche spekulieren, dass er bereits die kommenden Wahlen vor Augen habe und als Friedenskanzler auftreten wolle. „Besonnenheit ist nicht etwas, was man als Schwäche qualifizieren kann, wie einige das tun, sondern Besonnenheit ist das, worauf die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch haben“, sagte Scholz in der Fragestunde des Bundestages.
Unterdessen bekommt er Unterstützung von einem ehemaligen Bundeswehrgeneral. Helmut Ganser beklagt im „Journal für Internationale Politik und Gesellschaft“, die Folgen eines Taurus-Einsatzes würden zu wenig bedacht. Das wichtigste Ziel der Marschflugkörper, vermutet Ganser, wäre die strategisch wichtige Kertsch-Brücke vom russischen Festland auf die Krim, mit der die gesamte Südfront im Ukraine-Krieg versorgt wird. „Nicht nur in Moskau, sondern (…) auch international würde die Zerstörung der Brücke als spezifische deutsche Leistung aufgefasst werden.“
Doch eine Zerstörung der Brücke würde die militärische Lage für die Ukraine nicht einmal entscheidend verbessern, meint Ganser und warnt vor „unkalkulierbaren Risiken“ für Deutschland. Der Ex-General unterstützt den Bundeskanzler daher in seiner Ablehnung, „weil dies Deutschland tief in die Grauzone der Kriegsbeteiligung ziehen würde“.
Scholz‘ Autorität ist angeknackst
Trotz der Abweichler in den Regierungsreihen ist aber keineswegs klar, dass es die Union diesmal schaffen wird, eine Mehrheit im Bundestag für ihren Antrag zu erreichen. Die SPD steht klar hinter Olaf Scholz. Die Linkspartei und die rechtspopulistische AfD würden Kiew am liebsten gar nicht helfen und stützen Scholz in diesem Punkt ebenfalls, auch wenn Zustimmung von dieser Seite für den SPD-Bundeskanzler politisch heikel ist. Auch in der Bevölkerung hat der Kanzler eine Mehrheit hinter sich: Laut jüngsten Umfragen lehnen 61 Prozent der Befragten eine Taurus-Lieferung an die Ukraine ab.
Würden also die Grünen oder die FDP eine weitere Krise in einer ohnehin wackeligen Koalition heraufbeschwören? Im Koalitionsvertrag heißt es zum Thema Abstimmungsverhalten: „Im Deutschen Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab.“
Darauf berufen sich jetzt auch die Fraktionschefs von Grünen und FDP und lassen erkennen, dass sie auf die Disziplin ihrer Abgeordneten dringen werden. Das schließt einzelne Abweichler nicht aus. Aber niemand in der Koalition dürfte zur Zeit an einem Auseinanderbrechen der Regierung interessiert sein, denn für alle drei Regierungsparteien sieht es in den Umfragen nicht gut aus. Aber so oder so: Die Autorität von Olaf Scholz, der erst ein Machtwort spricht, die Diskussion aber dennoch nicht stoppen kann, ist angeknackst.