Die Europawahl wurde am vergangenen Wochenende zu einem rechtsnationalen Beben. Aus den Wahlen für das neue Europaparlament ging in Deutschland die Alternative für Deutschland (AfD) als zweitstärkste Partei hervor. Eine Abstrafung der Bundesregierung und der etablierten Parteien.
Die Grünen, müssen mit minus acht Prozentpunkte die größten Verluste im Vergleich zu den Europawahlen 2019 hinnehmen. Gerade das Wahlverhalten junger Wähler lässt aufhorchen.
Sechzehn Prozent der 16- bis 24-Jährigen wählten AfD, rund dreimal so viel wie vor fünf Jahren. Die Grünen kommen in der Altersgruppe gerade mal auf 11 Prozent, ein Verlust von 23 Prozentpunkten im Vergleich zu 2019. Damals lag das Wahlalter noch bei 18 Jahren.
Und das, obwohl laut der Umfrage „Zukunft? Jugend fragen! – 2023“ vom Bundesumweltministerium und dem Bundesumweltamt acht von zehn Menschen zwischen 14 und 22 Jahren in Deutschland der Klimaschutz wichtig ist. Warum haben sich nach dem großen Wahlerfolg von 2019 so viele junge Menschen von den Grünen abgewendet?
Entfremdung von den Grünen?
Matthias Jung von der „Forschungsgruppe Wahlen“, einem führenden deutschen Wahlforschungsinstitut, erklärt die herben Verluste der Grünen auch mit einer Entfremdung einiger Stammwähler, besonders unter der pazifistisch geprägten Anhängerschaft.
„Die Grünen kommen in der langfristigen Betrachtung aus einer pazifistischen Ecke und momentan sind sie bei uns die hartnäckigsten Vertreter einer militärischen Unterstützung der Ukraine“, so Jung.
Laut Jung läuft die Sicherheitspolitik, Migration, dem Thema Klima- und Umweltschutz gerade den Rang ab. Klimaschutz habe „in der Gesamtbevölkerung und damit auch in allen Altersgruppen relativ an Bedeutung verloren und damit spielen natürlich auch die Fragen von Klima und Umwelt bei dieser aktuellen politischen Lage nicht die große Rolle, wie wir das vielleicht vor einiger Zeit gewohnt waren“, so Jung.
Wahlverluste der Grünen könnten Klimaversprechen gefährden
In diese Richtung zeigen auch die Ergebnisse der Umfrage „Zukunft? Jugend fragen! – 2023“. Zwar sind Klima- und Umweltschutz nach wie vor eine Priorität bei jungen Menschen, sie belegen bei den wichtigsten Themen aber nur noch Platz sieben, hinter Fragen zum Bildungs- und Gesundheitswesen, sozialer Gerechtigkeit, Inflation und Lebenskosten. 2019 hatte das Thema bei derselben Umfrage noch oberste Priorität.
Auch wenn das Thema Umwelt- und Klimaschutz bei jungen Wählern noch wichtig ist, hat sich dies im Wahlverhalten aber nicht niedergeschlagen. Die Klimabewegung habe in den letzten Jahren an Zustimmung verloren, konstatiert Sebastian Koos, Professor für Soziologie und soziale Bewegungen an der Universität Konstanz.
In der aktuellen Krisensituation kämpfe die Klimabewegung um Aufmerksamkeit und politische Erfolge. „Sie steht derzeit auf keinem einfachen Posten, gerade auch bei jungen Menschen, die sich orientieren“, so Koos.
Neue, kleine Parteien punkten, AfD zielt mit TikTok auf junge Menschen
Kleinere Parteien – wie Volt oder die Tierschutzpartei – kommen laut Infratest dimap bei den 16‑ bis 24‑Jährigen auf insgesamt 28 Prozent. Dies könnte ein deutlicher Hinweis darauf sein, dass die junge Wählergruppe von den Inhalten der etablierten Parteien generell enttäuscht ist.
Durch kleine Parteien wie Volt bekämen grünaffine Gruppen auch noch mal ein zusätzliches Angebot. Klimaneutralität hat für Volt Priorität. Bis 2040 soll die EU sauber wirtschaften, statt wie bisher geplant bis 2050. Die Partei habe damit bei den unter 30-Jährigen mit fast acht Prozent ein weit überdurchschnittliches Ergebnis geholt, so Jung.
Die rechte AfD hat wie keine andere deutsche Partei gezielt junge Menschen angesprochen – und das hat sich ausgezahlt, sagen Experten.
Durch Kampagnen in den sozialen Medien – vor allem auf TikTok und Instagram – sei es der AfD gelungen mit emotionalen und leicht verständlichen Botschaften, den Nerv der jungen Menschen zu treffen.
Unzufriedenheit mit der Ampelregierung
Gleichzeitig hakt es in der Ampelregierung aus Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen an vielen Stellen. Durch das Urteil des Verfassungsgerichts, die deutsche Staatsverschuldung zu begrenzen, entstand ein Milliardenloch beim Klimaschutz.
„Ich bin sehr enttäuscht von der Ampelpolitik und ich glaube nicht nur ich, sondern meine ganze Generation, denn die wurde ausgespart! Ich bin total frustriert und kann die Sorgen teilen!“, sagt die 19-jährige Samira Ghandour, Aktivistin bei der Jugendbewegung Fridays For Future. Sie hat zum ersten Mal gewählt. Für wen sie ihr Kreuz gemacht hat, wollte sie nicht preisgeben.
Dass viele junge Wählerinnen und Wähler Kleinstparteien gewählt haben, die sich ebenfalls für Menschenrechte, Frauenrechte, den Klimaschutz und eine plurale Gesellschaft einsetzen würden, macht ihr Hoffnung.
Für Aurélien Saussay Assistenz Professor an der London School of Economics scheitert grüne Politik derzeit vor allem daran den Menschen zu erklären, dass die Reformen nicht zu einem schlechteren Lebensstandard und höheren Kosten führen müssen.
Als Beispiel nennt er das Heizungsgesetz in Deutschland. In Zukunft sollen mehr Haushalte in Deutschland ihre Öl- oder Gasheizung durch Wärmepumpen ersetzen. Das Gesetzt mache laut Saussay aus ökonomischer und ökologischer Sicht absolut Sinn.
Wie es umgesetzt wurde, geriet allerdings zum Desaster. Das Gesetz sei als ungerecht wahrgenommen worden, „was zu heftiger Ablehnung führte, weil es als ein Gesetz wahrgenommen wurde, das den Haushalten, die es sich nicht unbedingt leisten konnten, sehr hohe Investitionen aufzwingt“, so Saussay.
Hat radikaler Klimaprotest junge Wähler abgeschreckt?
Laut der Umfrage „Zukunft? Jugend fragen! – 2023“, finden über 60 Prozent der jungen Menschen, dass Klimaaktivisten mit ihren Aktionen übertriebene Panik verbreiten.
Dieser Wert habe sich seit 2021 laut Angelika Gellrich vom Umweltbundesamt fast verdoppelt. Über 80 Prozent der Befragten jungen Menschen gehen Protestformen wie Sachbeschädigungen oder Straßenblockaden zu weit.
Dort habe man ganz klar gesehen, „dass dies auf relativ wenig Verständnis stößt und, dass man es auch nicht für ein geeignetes Mittel hält, um die Mehrheit der Gesellschaft damit zu gewinnen.“
Erstwählerin Ghandour von Fridays for Future glaubt indessen nicht, dass das friedliche Blockieren von Flughäfen oder Straßen dem Ansehen der Klimabewegung geschadet hat.
Sie könne aber verstehen, weshalb Menschen diese Art von Aktionen problematisch fänden. „Das ist auch ein Grund, warum ich mich bei Fridays for Future beteilige und bei keiner anderen, weil ich glaube, dass friedlicher Massenprotest immer noch die beste Form ist, um die Zivilgesellschaft zu mobilisieren.“