22. Februar 2024

Deutsche Wirtschaft: Strategie gegen Rezession gesucht

Von Admins

Der deutschen Wirtschaft geht es schlecht, diese Nachricht ist nicht neu. „Im Vergleich zu den meisten anderen großen Industrieländern fällt unser Land weiter zurück. Eine Chance auf einen raschen Befreiungsschlag in 2024 sehen wir nicht“, sagte der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, schon im Januar.

Dass die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für 2024 nun so deutlich nach unten korrigiert, nämlich von 1,3 Prozent auf 0,2 Prozent, hatten viele nicht erwartet. Man sei „durchaus überrascht“, sagte Almut Balleer vom RWI-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen bei einer Diskussionsrunde der Leibniz-Gemeinschaft.

Schließlich habe sich einiges durchaus positiv entwickelt. Die Inflation ist gesunken: Durchschnittlich 5,9 Prozent waren es im vergangenen Jahr, 2,8 Prozent sollen es laut Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung absehbar werden. „Die Inflation ist beherrschbar geworden“, gab sich Bundesfinanzminister Christian Lindner im Bundestag optimistisch.

Größere Einkäufe? Nein, danke

Positiv ist auch, dass der Arbeitsmarkt stabil ist. 46 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland, die Erwerbstätigkeit soll in diesem Jahr noch zunehmen. Löhne und Gehälter sind gestiegen, die Menschen hätten also Geld, um es auszugeben und den Konsum anzukurbeln. Doch sie tun es nicht in dem Maße wie erwartet, sondern sparen lieber.

Deutschland Bundestag. Christian Lindner steht an seinem Platz auf der Regierungsbank im Deutschen Bundestag und beantwortet Fragen in der Regierungsbefragung.
Die Preisentwicklung sei wieder beherrschbar, sagt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP)Bild: Serhat Kocak/dpa/picture alliance

Zu groß sei die Verunsicherung, kritisiert Balleer und macht dafür vor allem die Politik verantwortlich. „Viele hatten gehofft, dass es aufwärts geht, wenn die Richtung vorgegeben wird, wie man die Energiewende und die Herausforderungen der Zukunft schafft.“

Sparen oder Schulden machen?

SPD, Grüne und FDP, die zusammen die Regierung bilden, ist es bislang nicht gelungen, eine klare Richtung vorzugeben. Immer wieder gibt es Streit vor allem zwischen dem grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und dem FDP-Chef und Finanzminister Lindner.

Zwar sehen beide übereinstimmend die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Gefahr. Bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts in Berlin sprach Habeck von einer „extrem herausfordernden Situation“. Doch während Lindner auf Steuerentlastungen für Unternehmen drängt, will Habeck einen schuldenfinanzierten Sondertopf für mehr Investitionen, was Lindner ablehnt.

Einigkeit versprechen – mal wieder

Sich öffentlich zu dem Zwist zu äußern, dass vermeidet Habeck inzwischen. Die Kritik an den Streitigkeiten erkennt er an. „Sehr viele Entscheidungen sind mit sehr viel Lautstärke gefällt worden und Vertrauen hängt auch daran, dass bestimmte Entscheidungen verlässlich gefällt werden. Das ist in den letzten zwei Jahren erkennbar nicht immer der Fall gewesen“, sagte er in Berlin.

Deutschland | Bundestag Generaldebatte Haushalt
Immer wieder im Zwist: Christian Lindner (li., FDP), Bundesminister der Finanzen und Robert Habeck (Mitte, Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bleibt die Rolle des VermittlersBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Um so wichtiger sei es nun, die Reformvorhaben anzugehen, auf die sich die Regierung geeinigt habe und da gebe es „eine große Entschlossenheit“. „Die Arbeit muss gemacht werden, unabhängig davon, ob man weitere Beschlüsse zur steuerlichen Entlastung fällt.“

Demografischer Wandel wird drückender

Deutschland leide unter strukturellen Problemen, die sich über viele Jahre aufgebaut hätten. An erster Stelle sieht Habeck den Mangel an Fach- und Arbeitskräften, der sich in den nächsten Jahren noch verschärfen und das Wachstum dämpfen werde. „Wir brauchen alles Wissen und Können, alle Hände und Köpfe, alle Talente und Fähigkeiten.“

Nötig seien mehr Bildung, bessere Möglichkeiten für Frauen und bessere Anreize für ältere Menschen, freiwillig länger zu arbeiten, aber auch mehr Fachkräfteeinwanderung und die bessere Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Dabei gehe es auch um die Frage „wer wir sind, als Deutschland, und ich kann Ihnen sagen, wenn wir alle diese Menschen nicht als Partner, Freunde und Deutsche betrachten, dann kollabiert die Wirtschaft“.

Viele „überflüssige“ Gesetze

Erneuerbare Energien sollen massiv ausgebaut, Industrieprozesse über Förderungen klimaneutral werden. Unnötige Bürokratie soll abgebaut werden, wenn zusätzliche nötig ist, soll auf die Verhältnismäßigkeit geachtet werden. Handelsbeziehungen mit anderen Ländern sollen ausgeweitet, mehr bezahlbarer Wohnraum geschaffen und die Verkehrsinfrastruktur modernisiert werden. 2024 sind Investitionen in Höhe von gut 70 Milliarden Euro geplant. Hinzu kommen noch einmal gut 49 Milliarden Euro aus dem Klimafonds.

Nicht nur die Unternehmen werden gespannt verfolgen, ob die Regierung ihre Ankündigungen wahr machen kann. Von ihrem Ziel, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen, sind SPD, Grüne und FDP weit entfernt. Der Bürokratieabbau, seit Amtsantritt der Regierung angekündigt, kommt auch nicht voran. „Wir haben viele überflüssige Gesetze, bei denen, wenn wir sie abschaffen würden, nichts verloren gehen würde“, sagt Clemens Fuest vom ifo-Institut für Wirtschaftsforschung in München. Daran seien auch Vorgänger-Regierungen schuld. „Aber wir haben einen massiven Anstieg der Belastung, eine Explosion von Planwirtschaft und Interventionismus, die die Wirtschaft belastet.“

Energie demnächst wieder bezahlbar?

Einen Lichtblick sieht Wirtschaftsminister Habeck bei den Energiepreisen. Gas und in der Folge Strom seien deutlich günstiger zu haben. „Die Energiepreise sind noch nicht da, wo wir sie haben wollen, aber doch schneller und deutlicher runtergegangen als wir es noch vor Monaten annehmen durften.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck zeigt ein Schild mit der Entwicklung der Gaspreise an der Börse bei der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2024 in der Bundespressekonferenz.
Der Gaspreis soll weiter sinken, davon ist Wirtschaftsminister Robert Habeck überzeugtBild: Political-Moments/IMAGO

Doch reicht das, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können? Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezweifelt das. „Kurzfristig wird sich erstmal nichts daran ändern, dass die Energiekosten in Deutschland deutlich höher bleiben werden als in anderen Volkswirtschaften, die nicht ganz so stark abhängig waren von russischem Gas und Öl“, sagte Fratzscher in der Diskussionsrunde der Leibniz-Gemeinschaft.

Transformation heißt Wechsel

Energieintensive Unternehmen finanziell zu unterstützen, das hält Fratzscher für den falschen Weg. „Transformation heißt, dass man die existierenden Strukturen eben nicht zementieren darf, sondern Veränderungen zulassen muss. Es ist gar nicht so schlimm, wenn manche energieintensive Unternehmen Produktion und auch Arbeitsplätze ins Ausland verlagern.“

Im Gegenzug müssten zukunftsträchtige Industrien gefördert werden. „Diese strategische Ausrichtung mit Plan, Prioritäten und vor allem einer abgestimmten europäischen Politik, das fehlt mir im Augenblick.“