Die slowakische Regierung greift nach den Medien
Sie kamen ganz in Schwarz: Journalisten, Techniker und Verwaltungsangestellte der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt der Slowakei RTVS. Sie trugen am Donnerstag vergangener Woche (25.04.2024) ihren Sender symbolisch zu Grabe. Auch mehrere Online-Beiträge veröffentlichten sie an diesem Tag ganz ohne Farbe, nur in Schwarz-Weiß.
Damit protestierten sie gegen einen Beschluss der Regierung von Ministerpräsident Robert Fico vom Vortag, der nichts weniger bedeutet als die Auflösung von RTVS. In- und ausländische Journalistenverbände sowie die Europäische Rundfunk-Union EBU laufen dagegen Sturm. In der Slowakei gehen tausende Menschen seit Wochen gegen das geplante Mediengesetz auf die Straßen. Der Gesetzentwurf sieht auch schon einen neuen Namen für das Nachfolge-Medium vor: STVR.
Was wie eine harmlose Umsortierung der Buchstaben aussieht, verrät in Wirklichkeit die Stoßrichtung des Gesetzesvorhabens. Der Sender soll Staatsrundfunk werden. Das S für die Slowakei am Ende der Buchstabenreihe des alten Namens sei eine „Herabwürdigung der Nation“, argumentiert Martina Simkovicova von der Nationalpartei und Ressortchefin im Kulturministerium. Deshalb müsse der Name der Nation zukünftig nach vorn gerückt werden. Der Griff nach den unabhängigen Medien ist im 5,5-Millionen-Staat Slowakei der jüngste politische Vorstoß des Populisten Fico, der seit Herbst vergangenen Jahres erneut als Ministerpräsident amtiert.
Fico will Medien unter seine Kontrolle bringen
Der Gesetzentwurf nach ungarischem Vorbild kam unmittelbar vor dem Internationalen Tag der Pressefreiheit (03.05.). Der Tag erinnert an Verletzungen der Medienfreiheit und an die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung als Existenzgrundlage von Demokratien. Medien, die Ficos Politik kritisch gegenüberstehen, waren dem Premier schon lange ein Dorn im Auge. Er und seine nur noch dem Namen nach sozialdemokratische Partei Smer-SD, verfolgen einen offen nationalistischen Kurs. Zu seiner Dreiparteien-Regierung zählt auch die ultrarechte slowakische Nationalpartei (SNS). Fico und andere Regierungsmitglieder bedienen sich unverhohlen einer aggressiven Rhetorik. RTVS sei „antislowakisch“ und betreibe „illegale“ Aktivitäten, wobei unklar bleibt, was damit gemeint ist. Aussagen wie diese spiegeln das Gegenteil dessen wider, was die Mehrheit der slowakischen Bevölkerung denkt. Sie hält RTVS seit Jahren für das vertrauenswürdigste Medium des Landes. Fico, der zum vierten Mal Regierungschef ist, wirft dem Sender hingegen vor, „zu regierungskritisch“ zu sein.
Der Rundfunkchef wehrt sich
Das geplante neue Mediengesetz ist der Hebel, um den Chef des Rundfunks, Lubos Machaj, loszuwerden. Der Generaldirektor von RTVS ist erst seit 2022 im Amt und zusammen mit seinem Führungsteam für fünf Jahre gewählt. Er soll aber durch einen Nachfolger abgelöst werden, den ein neunköpfiges Gremium bestimmt. Dies besteht aus vier Mitgliedern der Regierung und fünf aus dem Parlament, in dem die Fico-Koalition eine knappe Mehrheit stellt. Der Neue auf dem Chefstuhl soll, wenn er im Amt ist, das Lied der Regierung singen. Ohne die Auflösung von RTVS wäre das nicht möglich.
Bislang sei ihm nichts vorgelegt worden, was den Vorwurf belege, nicht objektiv zu berichten, so Machaj in einem Interview. Schon längst habe „die aktuelle Regierungsnomenklatur damit begonnen, alternative Medien zu bevorzugen“.
In der Tat: Ministerien wurden angehalten, den Sender zu boykottieren. Nicht nur RTVS steht unter Beschuss, sondern auch private Medien, die es wagen, regierungskritisch zu berichten. Dazu zählen die Zeitungen Dennik N und SME sowie das Portal Aktuality.
Der Fall Jan Kuciak
Für Letzteres arbeitete der Investigativ-Journalist Jan Kuciak. Er hatte bis 2018 zu Verstrickungen der damaligen Fico-Regierung mit der Italienischen Mafia recherchiert. Seine Enthüllungen über kriminelle Machenschaften kosteten ihn und seine Verlobte das Leben. Sie wurden am 21.02.2018 von Auftragskillern ermordet. Mutmaßlicher Auftraggeber war der slowakische Geschäftsmann Marian Kocner.
Was folgte, waren tiefe öffentliche Erschütterung und ein politisches Erdbeben. Die Slowakei erlebte damals die größten Massendemonstrationen gegen die Regierung. Fico geriet unter Druck und musste zurücktreten – eine Zäsur, aber nicht sein politisches Ende.
Der Mord an Jan Kuciak geriet zwischen 2020 und 2023 durch die Pandemie, den Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise und die Inflation mehr und mehr in den Hintergrund. Insbesondere Russlands Angriff auf die Ukraine führte zu einer tiefen Spaltung der slowakischen Bevölkerung, die sich in etwa zu gleichen Teilen als prowestlich und als prorussisch bekennt.
Medienfreiheit in Gefahr
Eine aktuelle Ergebung zur Pressefreiheit des „Committee for Editorial Independence“, einer Arbeitsgruppe des tschechischen Medienunternehmen Economia, sieht die Slowakei inzwischen als das Problemland Nummer Eins unter den vier Visegrad-Staaten (Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn) . 65 Prozent der für die Studie Befragten gaben an, dass sie um die Medienfreiheit in ihrem Land fürchteten. Noch vor zwei Jahren hatten sich weniger als die Hälfte Sorgen gemacht. Die Slowakei, seit 20 Jahren EU- und NATO-Mitglied, ist nicht nur medienpolitisch auf dem Weg in die internationale Isolation. Außenpolitisch hat das Land seit Amtsbeginn Ficos prorussische Töne angeschlagen und die staatliche Militärhilfe für den östlichen Nachbarn Ukraine gestoppt.
Mit einer umstrittenen Justizreform und der Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft gegen Korruption legte die Regierung Anfang des Jahres nach. Ein Geschenk für alle in Korruption Verstrickten, so die Opposition.
Funkstille zwischen Prag und Bratislava
Die Konsequenzen der Reform sind eine geringere Strafen für Korruptionsdelikte und verkürzte Verjährungsfristen, eine Maßnahme, auf die die EU mit einer Protest-Resolution reagierte. Der geografisch und historisch engste Partner der Slowakei, Tschechien, ging noch einen Schritt weiter. Die gemeinsamen Regierungssitzungen Prags und Bratislavas sind vorerst ausgesetzt.
Jetzt also wird die Axt an die Pressefreiheit angelegt. Das geplante Mediengesetz soll bis Juni im Parlament mit der knappen Mehrheit der Regierungskoalition verabschiedet werden – noch vor der Sommerpause. Man werde die Medienentwicklung in der Slowakei beobachten und den Gesetzestext genau analysieren, heißt es dazu mahnend aus Brüssel.