31. März 2025

Erdbeben in Myanmar: Eine Katastrophe auf vielen Ebenen

Von Admins

Das Erdbeben am Freitag hat Myanmar schwer getroffen. Bisher sind etwa 1600 Tote bestätigt. Doch die Zahlen könnten weiter steigen, wenn Hilfskräfte auch in abgelegene Regionen vordringen.

Bilder in sozialen Medien aus der nah am Epizentrum gelegenen 1,6-Millionen-Einwohner-Stadt Mandalay zeigen ganze Straßenzüge, auf denen jedes zweite Haus eingestürzt oder beschädigt ist. Nach UN-Angaben sollen bereits vor dem Beben rund 20 Millionen Menschen in dem Land auf humanitäre Hilfe angewiesen sein.

Die Strom- und Telefonverbindungen in Zentralmyanmar funktionieren, wenn überhaupt, nur sporadisch. Die DW hat Menschen in Yangon erreicht, die bange Stunden auf Nachrichten von Freunden und Familien aus Mandalay gewartet haben.

Verzweiflung und Ohnmacht

Tun Myint* berichtet, dass seine Bekannten mit dem Leben davongekommen sind. Sie harrten auf der Straße aus, wegen der Nachbeben, und weil sie Angst haben, dass das Haus nicht sicher ist.

„Sie berichten von Hilferufen eingeschlossener Menschen. Aber sie können wenig tun. Es fehlt an schwerem Gerät. Und wenn das in Mandalay schon so ist, wie muss es dann erst in abgelegenen, weitgehend abgeschnittenen Regionen sein?“

Das Erdbeben mit einer Stärke von 7,7 auf der Richterskala traf auf ein Land, das seit dem Putsch 2021 in eine besonders intensive Phase des Bürgerkriegs eingetreten ist und ohnehin schon schwer gezeichnet ist. Das Epizentrum lag in der Nähe der Stadt Sagaing nicht weit von Mandalay entfernt. Die Metropole gehört zu den am heftigsten umkämpften Regionen im Bürgerkrieg.

Schon vor dem Beben war die Infrastruktur von Bombardements durch die Militärregierung und Kämpfen der verschiedenen Fraktionen stark in Mitleidenschaft gezogen. Seit COVID-19 und Bürgerkrieg lebt nach Angaben des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen jeder vierte Bewohner in Armut, das UN Flüchtlingshilfswerk verzeichnet in Myanmar 3,6 Millionen Binnenflüchtlinge.

Starkes Erdbeben erschüttert Myanmar – Zerstörung und Evakuierungen in Naypyidaw und Mandalay. Zu sehen ist ein zusammengestürztes Gebäude zwischen zwei Hochhäusern
Jedes zweite Gebäude eingestürzt: Das Ausmaß der Katastrophe in Myanmar wird jeden Tag deutlicherBild: STR/AFP

Das Erdbeben trifft also auf ein Land, in dem Mangel und große Not herrschen. Die Erschütterungen zerstörten unzählige Wohnhäuser, Universitätsgebäude, aber vor allem auch Krankenhäuser, Feuerwehrstationen und Gesundheitszentren.

Die Flughäfen von Mandalay und der neuen Hauptstadt Naypiydaw sind betroffen, viele Brücken und Straßen sind unpassierbar. Die am schwersten betroffenen Regionen werden von einem Flickenteppich verschiedener Akteure des Bürgerkriegs kontrolliert. All das erschwert die Hilfsmaßnahmen zusätzlich.

Internationale Hilfe läuft an

Tun Myint glaubt nicht, dass die Bürgerkriegsparteien angesichts der Katastrophe zusammenarbeiten werden. „Alle Seiten [im Bürgerkrieg, Anm. d. Red.] werden versuchen, von der Lage zu profitieren“.

Die Militärregierung hat sich bereits mit einem Hilfegesuch an die internationale Gemeinschaft gewendet. Russland, China, Indien, Singapur, die USA und die EU haben Hilfen zugesagt. Erste Hilfsgüter und Suchtrupps sind im Land eingetroffen.

Das National Unity Government (NUG) hat eine 14-tägige einseitige Waffenruhe angekündigt, um den Menschen zu helfen. Die Exilregierung Myanmars setzt sich aus gewählten Parlamentsvertretern zusammen, die aus den Wahlen von 2020 hervorgingen. Seit dem Putsch 2021 organisiert sie den bewaffneten Kampf gegen die Militärregierung.

Myanmar Bürgerkrieg und Menschenrechtsverletzungen | Zerstörungen im Shan-Bundesstaat
Kein Erdbeben: Diese Aufnahme vom 24. August 2024 zeigt ein Haus in der Stadt Lashio im Norden des Landes, das bei den Kämpfen zwischen der Militärregierung und der Rebellengruppe „Myanmar National Democratic Alliance Army“ (MNDAA) ausgebrannt istBild: AFP/Getty Images

„Die Menschen brauchen jede Hilfe“

Swe Maung*, der aus Mandalay stammt, aber wegen des Bürgerkriegs in das thailändische Chiang Mai geflohen ist, sieht die Militärregierung unter der Führung von General Min Aung Hlaing im Vorteil. „Die Folgen des Bebens sind ein Boost für Min Aung Hlaing und den State Administrative Council. Das National Unity Government gerät ins Hintertreffen, weil es nicht über die Logistik verfügt, um zu helfen“.

„Ehrlich gesagt ist es mir in diesem Augenblick egal, wer den Krieg gewinnt“, sagt Tun Myint. „Die Menschen brauchen jede Hilfe, die sie bekommen können“.

Katastrophe für das kollektive Karma

Neben der materiellen Katastrophe wurde Myanmar auch spirituell getroffen. Viele bedeutsame Pagoden, darunter auch die Pagode des Mahamuni-Buddhas in Mandalay wurden schwer beschädigt. Es handelt sich nach der Shwedagon-Pagoda in Yangon um das zweitwichtigste Heiligtum des Landes.

Erdbeben in Myanmar. Buddhistische Mönche blicken auf einen zerstörten Tempel in der Hauptstadt Naypyitaw. Sie tragen braune gebundene Tücher
Spiritueller Abgrund: Buddhistische Mönche blicken auf einen zerstörten Tempel in der Hauptstadt NaypyitawBild: /AP/picture alliance

„Das Beben hat die Identität der Bamar zutiefst erschüttert“, sagt auch Tun Myint. In der Vorstellung der buddhistischen Mehrheit in Myanmar sei alles, „was ein Mensch in seinem Leben erreicht oder erleidet, die Folge seiner Taten aus einem vorherigen Leben“, erklärt er. „Jedes Glück und jedes Leid sind damit immer auch schon gerechtfertigt“.

Deswegen gebe es ein kollektives Karma, also eine Art Gesamtkarma der Landesbevölkerung. Das Erdbeben sei deswegen auch eine spirituelle Katastrophe.

Elefanten gegen Kampfjets

Diese zweite Ebene spielt auch im Bürgerkrieg eine wichtige Rolle, wie sich am Verhalten von Premier und Putschführer Min Aung Hlaing ablesen lässt. Denn er geht nicht nur militärisch gegen den Widerstand im eigenen Land vor, sondern lässt zugleich auch den größten Marmorbuddha der Welt in Naypyidaw bauen.

Bei seinem Treffen mit Putin (links) im März dieses Jahres in Moskau zeigte sich Myanmars Herrscher Min Aung Hlaing (rechts) zuversichtlich, dass Russland die Ukraine besiegen werde
Verbündete: Bei seinem Treffen mit Putin (links) im März dieses Jahres in Moskau zeigte sich Myanmars Herrscher Min Aung Hlaing (rechts) zuversichtlich, dass Russland die Ukraine besiegen werdeBild: Pavel Bednyakov/AP/picture alliance

Der Chef der Miliärjunta sieht sich als Verteidiger des Buddhismus. So präsentierte er beim Staatsbesuch in Russland Anfang März Präsident Putin ein seltenes Buch aus dem Jahr 1942.

Darin wird von einer angeblichen Prophezeiung aus der Zeit des Buddhas berichtet, nach der ein russischer König und Meister der Waffen Jahrhunderte später ein goldenes Zeitalter des Buddhismus einläuten würde. Min Aung Hlaing zeigte sich zuversichtlich, dass Putin in der Ukraine siegen werde.

Bei dem Staatsbesuch wurden symbolisch sechs Elefanten aus Myanmar gegen sechs russische Kampfjets getauscht. Weltliche und überweltliche Macht sind nicht nur in Myanmar eng verflochten.

Historische Parallelen

Im Gegensatz zu dem nach Thailand geflohenen Oppositionspolitiker Swe Maung* ist Nyein Win*, die in Yangon lebt, davon überzeugt, dass das Beben ein schwerer Schlag für die Junta ist. Es sei ein klares Zeichen dafür, dass das Ende der Junta naht, sagt sie der DW.

Dabei spielt auch eine Parallele zu dem schweren Erdbeben von 1930 eine Rolle. Es wies eine ähnliche Stärke wie das Beben vom Freitag auf. Damals stürzte der Schirm von der Spitze der Shewdagon-Pagode, was als Zeichen einer schweren Staatskrise gedeutet wurde.

Wer bestimmt die Zukunft Myanmars?

Im gleichen Jahr gab es einen großen Aufstand gegen die Herrschaft der Briten und es formierte sich die „Dobama Asiayone“ (Wir Birmanen Gesellschaft), die den politischen Kampf gegen die Kolonialherren auf Jahrzehnte führte und wesentlich zur Unabhängigkeit des Landes beitrug.

Diese historische Parallele ist bedeutsam, weil viele Menschen die gegenwärtige Militärregierung als koloniale Macht im eigenen Land betrachten, die wie die Briten vertrieben werden muss.

Der deutsche Myanmar-Experte und Theologe Hans-Bernd Zöllner ist zwar auch der Ansicht, dass diese spirituelle Dimension eine erhebliche Auswirkung auf die Zukunft des Landes haben kann. „Der Glaube versetzt schließlich Berge. Aber das Spirituelle ist nie eindeutig.“

Am Besten wäre es aus Zöllner Sicht, „wenn sich die verfeindeten Lager in Myanmar an einen Tisch setzten, um im Interesse der Bevölkerung nach Auswegen aus der verfahrenen Lage zu suchen. Voraussetzung wäre die Einsicht auf beiden Seiten, dass jede ihren eigenen Anteil am Unglück des Landes hat. Das ist allerdings eher unwahrscheinlich.“

* Die Namen der Interviewpartner wurden zum Schutz geändert. Sie fürchten wegen der Polarisierung um ihre Sicherheit.