Frankreich auf Anti-Migrationskurs
Das Mandat für ein neues Einwanderungsgesetz hatte Präsident Emmanuel Macron ursprünglich ganz in der Tradition seiner „Sowohl-als-auch“-Politik formuliert. Macron schwor seine Regierung vor mehr als einem Jahr auf eine „ausgewogene“ Reform ein. Ein Gesetz, das illegale Migration verhindert und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erleichtert – aber auch die Integration arbeitender Migranten fördert.
Doch die Regierungsfraktionen haben bei den Parlamentswahlen im Sommer 2022 ihre absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Im Senat, der zweiten Parlamentskammer, dominieren ohnehin die rechtsbürgerlichen Republikaner (Les Républicains – LR). Unter dem Druck des rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen sind die Republikaner in den vergangenen Jahren nach rechts gerückt. Beobachtern war daher seit Wochen klar, dass die Regierung allenfalls für eine deutlich verschärfte Reform eine Mehrheit im Parlament erhalten würde. Macron hatte zuletzt einen „intelligenten Kompromiss“ zwischen den Parteien angemahnt.
Der Senat hatte bereits frühzeitig einen zentralen Punkt der Reform gestrichen. Migranten erhalten auch dann kein Bleiberecht in Frankreich, wenn sie in Branchen mit Arbeitskräftemangel einen Job finden. Weitere schmerzhafte Zugeständnisse musste die Regierung nun im Vermittlungsausschuss (commission mixte paritaire) machen, der aus sieben Senatoren und sieben Abgeordneten besteht. Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz schließt sich Frankreich dem Anti-Migrationskurs an, den zuletzt unter anderem die nordischen Länder eingeschlagen haben.
Vorrang für Franzosen bei Sozialleistungen
Vor allem bei den Aufenthaltsgenehmigungen und beim Zugang zu Sozialleistungen ist die Regierung der konservativen Opposition weit entgegengekommen. Für Kindergeld, das einklagbare Recht auf eine Wohnung oder die persönliche Unterstützung für Selbstständige ist eine Wartezeit von fünf Jahren für diejenigen vorgesehen, die keine Arbeit haben. Zuwanderer mit Arbeit müssen zweieinhalb Jahre warten.
Besonders umstritten zwischen der Regierungsfraktion und den Republikanern war der Zugang zur persönlichen Wohnbeihilfe (APL). Nicht-EU-Ausländer haben künftig erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Frankreich Anspruch auf das Wohngeld. Wer einen Job hat, studiert oder anerkannter Asylbewerber ist, erhält die Unterstützung dagegen bereits nach drei Monaten Aufenthalt.
Kaum Erleichterungen für „Sans Papiers“
Migranten ohne Aufenthaltsrecht, die so genannten „Sans Papiers“, sind in Frankreich immer wieder Gegenstand hitziger Debatten. Auch hier werden die Regeln verschärft. Der Präfekt hat künftig die Möglichkeit, diesen Personen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn sie in Mangelberufen arbeiten, seit mindestens drei Jahren in Frankreich leben und zuletzt mindestens zwölf Monate beschäftigt waren. Die Aufenthaltserlaubnis ist jedoch nur ein Jahr gültig.
Der Arbeitnehmer kann diese Aufenthaltserlaubnis ohne Zustimmung seines Arbeitgebers beantragen, was ein Zugeständnis der Opposition an das Regierungslager darstellt. Die „Sans Papiers-Reform“ ist zunächst als Experiment deklariert und nur bis 2026 gültig.
Sich illegal in Frankreich aufzuhalten, wird wieder zur Straftat und mit einem Jahr Gefängnis und einer Geldbuße von 3750 Euro geahndet. LR-Parteichef Eric Ciotti bekam von Innenminister Gérald Darmanin die Zusage, den Bau von Abschiebegefängnissen zu beschleunigen. Bis 2027 werden in Frankreich demnach elf neue „administrative Auffangzentren“ eröffnet.
Obergrenzen für Zuwanderung
Obwohl die Regierung vom Parlament festgelegte Zuwanderungsquoten für verfassungswidrig hält, sieht der Kompromiss für die nächsten drei Jahre eine entsprechende Regelung vor. Die Obergrenze gilt demnach für Nicht-EU-Ausländer – Asylbewerber sind davon ausgenommen. Im Präsidentenlager, aber auch bei der linken Opposition hoffen viele Politiker, dass der Verfassungsrat die Regelung bei einer Überprüfung kippen wird. Innenminister Darmanin, selbst früher einmal Mitglied der Republikaner, bezeichnete am Dienstagabend im Senat einige Teile des Gesetzes als verfassungswidrig. Auch Staatspräsident Macron hat offenbar Zweifel: „Der Präsident wird den Verfassungsrat anrufen und der Verfassungsrat wird sagen, wie es sich verhält“, so Premierministerin Élisabeth Borne in einem Radiointerview.
Erschwerter Zugang zur Staatsbürgerschaft
In Frankreich geborene Ausländer erhalten künftig nicht mehr automatisch mit der Volljährigkeit die französische Staatsbürgerschaft. Sie muss zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr beantragt werden. Wer wegen einer Straftat verurteilt wurde, wird nicht mehr eingebürgert.
Doppelstaatlern kann die französische Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn sie wegen vorsätzlicher Tötung eines Amtsträgers verurteilt wurden. Diese Regelung soll Staatsbedienstete wie Polizisten, Feuerwehrleute und Lehrer schützen.
Außerdem beschlossen die Abgeordneten strengere Regeln für die Familienzusammenführung und eine Kaution für Studierende, um mögliche Abschiebekosten zu decken. Auch der Zugang zur Krankenversicherung wird für Ausländer erschwert.
Reaktionen auf die Reform
Die Fraktionsvorsitzende des Rassemblement National, Marine Le Pen, bezeichnete den Kompromiss als „ideologischen Sieg“ ihrer Partei und kündigte umgehend die Zustimmung ihrer Fraktion an. „Jetzt ist der ’nationale Vorrang‘, also die Bevorzugung von Franzosen gegenüber Ausländern bei bestimmten Sozialleistungen, endlich Gesetz“, sagte Le Pen, deren Partei derzeit die Umfragen anführt. Alle 88 RN-Abgeordneten haben in der Nationalversammlung in der Nacht auf Mittwoch für das neue Gesetz gestimmt, genauso wie die 62 Abgeordneten der Republikaner.
Das Präsidentenlager hätte ohne die Unterstützung der Rechten keine Mehrheit gehabt. 27 Abgeordnete der Regierungsfraktionen stimmten gegen die Verschärfung – 32 haben sich enthalten. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau hat sein Amt nach der Abstimmung niedergelegt. Welche Folgen die Spannungen im Regierungslager haben, werden nun die kommenden Tage zeigen.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums warf die linke Opposition der Regierung einen „Verlust jeglicher Würde“ vor, wenn sie das Gesetz mit den Stimmen von LR und RN durch das Parlament bringe. Demonstrierende Migranten und Geflüchtete sehen in der Reform eine neue Form der Härte und hatten gegen die Pläne protestiert.