Frankreichs Präsident Macron: „Europa könnte sterben“
In seiner als „Europa-Rede“ bezeichneten Ansprache an der Pariser Universität Sorbonne rief Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Aufbau einer „glaubhaften“ europäischen Verteidigung auf. „Ich lade in den kommenden Monaten alle Partner ein, eine europäische Verteidigungsinitiative aufzubauen“, sagte das französische Staatsoberhaupt. Europa stehe an einem Wendepunkt und müsse mehr tun, um mit rasch wieder aufrüstenden globalen Rivalen konkurrieren zu können.
Die größte Gefahr für die Sicherheit Europas sei der Krieg in der Ukraine. „Die Grundvoraussetzung für unsere Sicherheit ist, dass Russland diesen Angriffskrieg nicht gewinnt“, sagte Macron. Er schlug die Schaffung einer europäischen Militärakademie vor. „Europa muss das, was ihm am Herzen liegt, verteidigen können – mit seinen Verbündeten, wenn sie dazu bereit sind, aber auch allein, wenn es nötig ist“, sagte er.
L’Europe d’abord – Europa zuerst
Macron bekräftigte seine Forderung, bei Rüstungsgütern europäische Produktionen zu bevorzugen und dafür auch gemeinsame Schulden aufzunehmen – Forderungen, die in Berlin bislang nicht umfassend geteilt werden. Zudem müsse Europa den Bereich Cybersicherheit stärken.
Auf Verteidigungsebene gelte es zudem, die Verbindungen zu dem EU-Aussteigerland Großbritannien zu stärken. Macron bezeichnete den Brexit als eine der „beispiellosen Krisen“, mit denen Europa in den vergangenen Jahren konfrontiert war. Er sprach von einer „Explosion“, deren negative Auswirkungen dazu geführt hätten, dass niemand mehr einen Austritt propagiere – weder aus der EU noch aus dem Euro.
Unabhängigkeit von den USA
Macron sagte, Europa müsse in der Lage sein, einen Dialog mit Drittländern aufzunehmen und zu zeigen, dass es kein „Vasall“ der USA sei. Wirtschaftlich drohe der alte Kontinent im internationalen Kontext zurückzufallen und müsse sein Wachstumsmodell überdenken.
Berater des Präsidenten bezeichnen die Rede als Beitrag Frankreichs zur strategischen Agenda der EU für die nächsten fünf Jahre. Über die Agenda soll nach den Europawahlen entschieden werden, die im Juni anstehen.
Atommacht Frankreich
Frankreich werde dabei seine Rolle spielen, sagte Macron. Die nukleare Abschreckung, über die Frankreich verfüge, sei dabei „ein unumgängliches Element der Verteidigung des europäischen Kontinents“, erklärte der Präsident. „Dank dieser glaubwürdigen Verteidigung können wir die Sicherheitsgarantien aufbauen, die unsere Partner in ganz Europa erwarten“, betonte er sechs Wochen vor der Europawahl. Der gemeinsame Sicherheitsrahmen könne in der Zukunft auch ermöglichen, „nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland aufzubauen“.
Warnung vor schwindendem Einfluss Europas
„Es besteht ein immenses Risiko, geschwächt oder gar abgehängt zu werden“, mahnte Macron in seiner Rede, die von Beobachtern als Beitrag zum Europawahlkampf gewertet wurde. Dafür wählte er drastische Worte: „Unser Europa heute ist sterblich, es kann sterben, und das hängt allein von unseren Entscheidungen ab.“
Macron knüpfte mit seinem Auftritt an eine Grundsatzrede aus dem Jahr 2017 an der gleichen Stelle an: Damals entwarf er in der Sorbonne die Vision einer „europäischen Souveränität“ und „strategischen Autonomie“ – Begriffe, die in Brüssel inzwischen zu geflügelten Worten geworden sind. Konkret schlug Macron damals ein gemeinsames Budget der Euro-Staaten vor. Bis zum nächsten Jahrzehnt sollte es zudem einen EU-Verteidigungshaushalt geben.
Zustimmung vom Bundeskanzler
Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich nach Macrons Rede zustimmend. Er unterstütze im Grundsatz die vom französischen Präsidenten vorgeschlagenen Maßnahmen für ein wirtschaftlich starkes, sicheres Europa. Gemeinsames Ziel von Frankreich und Deutschland sei es, „dass Europa stark bleibt“, bekräftigte Scholz auf der Plattform X. „Deine Rede enthält gute Impulse, wie uns das gelingen kann“, fügte er an Macron gerichtet hinzu.