Gaza-Krieg: Belastungsprobe für die USA und Israel
In Washington, der Hauptstadt der USA, stehen sich Republikaner und Demokraten häufig unversöhnlich gegenüber. Doch bei einem Thema waren sie sich bisher immer einig: Die Beziehungen zwischen den USA und Israel sind unantastbar. In all den Jahrzehnten, in denen mal die Republikaner, mal die Demokraten an der Macht waren, hat sich an der Freundschaft zu Israel nichts geändert. Führende Politiker beider Parteien haben immer wieder betont, dass Israel keinen engeren Verbündeten habe als die Vereinigten Staaten und dass die Sicherheit des Landes nicht verhandelbar sei.
Fast 300 Milliarden US-Dollar (umgerechnet rund 280 Milliarden Euro) an Unterstützung zahlten die USA seit 1948 an Israel. Das meiste davon laut der US-amerikanischen Denkfabrik Rat für auswärtige Beziehungen (Council on Foreign Relations)
als Militärhilfe. Das ist etwa doppelt so viel, wie der Empfänger der zweithöchsten Hilfezahlungen, Ägypten, erhielt, ein Land mit einer Einwohnerzahl von 111 Millionen. Israel dagegen zählt nur 9,5 Millionen Einwohner.
„Die Beziehung ist wirklich einmalig“, sagt Chuck Freilich, ehemaliger Sicherheitsberater der israelischen Regierung mit Lehraufträgen an der Columbia Universität in New York und an der Universität von Tel Aviv, der DW. „Da gibt es nicht viele andere Beispiele.“
Gemeinsame Werte, strategische Interessen und eine starke Lobby, die Israel in der Gunst Washingtons hält, seien die Säulen dieser Beziehung, erklärt Freilich. Das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) beispielsweise ist einer der effektivsten Lobbyistenverbände in der US-amerikanischen Hauptstadt. Es macht sich immer für enge Beziehungen zwischen beiden Ländern stark, gleichgültig, aus welcher Richtung der politische Wind bläst.
Washington sieht Israel als strategischen Vorteil
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den USA vorgeworfen, sie hätten nicht genug getan, um die Juden in Europa vor dem Holocaust zu retten. Als führende Mitglieder der zionistischen Bewegung im Mai 1948 jedoch die Unabhängigkeit Israels erklärten, erkannten die USA den neuen Staat rasch an. Seitdem präsentiert sich Israel als eine liberale Demokratie, die die Interessen der USA in einer Region vertritt, die diesen häufig nicht wohlgesonnen ist.
„Früher wurde Israel als reine Belastung gesehen“, sagt Freilich. Ein regionaler Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, die während des Kalten Krieges eher der Sowjetunion zuneigten, barg immer auch das Risiko einer Eskalation zwischen den atomaren Supermächten. „Seit den Neunzigern betrachtet der Pentagon Israel jedoch als strategischen Vorteil.“
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Israel für die USA zu einem Mittel, kleinere Gegner wie den Iran und seine nicht-staatlichen Verbündeten in Schach zu halten. Das führte zur „engsten strategischen Zusammenarbeit in der Geschichte der Beziehungen zwischen den USA und Israel“, so Freilich.
Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober lieferten die USA eiligst Waffen an Israel, entsendeten Flugzeugträger in die Region und legten im UN-Sicherheitsrat ihr Veto gegen Waffenstillstandsresolutionen ein.
„Aus der Sicht Israels reagierte Biden meiner Meinung nach absolut großartig“, betont Freilich. Der US-Präsident schob die Unstimmigkeiten mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu beiseite und konzentrierte sich auf die Verteidigung Israels.
Steigende Opferzahlen im Gazastreifen
In den nahezu sechs Monaten des massiven militärischen Einsatzes der israelischen Armee im Gazastreifen wurden dort laut palästinensischen Angaben mehr als 33.000 Menschen getötet. Weltweit hat das Missbilligung hervorgerufen und der Ton in der Regierung Biden änderte sich. In einem Gespräch mit dem US-Sender CBS betonte Vize-Präsidentin Kamala Harris, man solle die israelische Regierung nicht mit dem israelischen Volk verwechseln.
„So etwas sagt man über Bananenrepubliken“ äußert sich Freilich besorgt und prophezeit: „Wenn Netanjahu seine Vorgehensweise nicht bald ändert, wenn es nicht bald eine neue Regierung gibt, wird das dauerhafte Auswirkungen haben.“
Für manche Kenner der amerikanisch-israelischen Beziehungen wäre es höchste Zeit. „Es ist ein quälend langsamer Prozess, in dem die USA davon abrücken, immer grünes Licht zu geben, sondern auch gelbes und zuletzt sogar oranges“, kritisiert Ian Lustick, Israel-Experte und Professor für Politikwissenschaften an der Universität von Pennsylvania im Gespräch mit der DW.
Mit „orangenem Licht“ meint Lusick die Enthaltung der USA im UN-Sicherheitsrat Ende März dieses Jahres, als dort über eine Resolution abgestimmt wurde, die einen vorübergehenden Waffenstillstand forderte. Frühere Versuche waren gescheitert, doch durch diese Enthaltung konnte die Resolution verabschiedet werden. Aus Protest sagte Netanjahu eine bevorstehende Reise israelischer Beamter in die USA ab.
Zugleich wurden von der Regierung Biden seit dem 7. Oktober mehr als 100 Verkäufe militärischen Materials an Israel genehmigt wie zuerst die „Washington Post“ berichtete. Dazu zählen auch 900-Kilogramm-Bomben, die ganze Stadtviertel auslöschen können.
„Es überrascht mich, wie langsam sich die Regierung Richtung rotes Licht bewegt“, sagt Lustick. Er hält das für ein Risiko, sowohl für US-Interessen in anderen Teilen der Welt als auch für Biden während des Wahljahres in den USA. Im Bundesstaat Michigan leben zum Beispiel viele arabisch-stämmige Bürger. In den Vorwahlen im Februar stimmten 13 Prozent der demokratischen Wähler dort lieber für keinen Kandidaten als für Biden. Eine Art des Protests, der sich auch auf andere Staaten ausgeweitet hat. Doch Michigan gilt als Staat, den die Demokraten gewinnen müssen, um die Wahlen zu gewinnen.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass das politische Gewicht von Kritikern Israels in der amerikanischen Politik jemals so stark war, das darüber berichtet wurde und Politiker es nicht ignorieren konnten“, fügt Lustick hinzu.
Zunehmend angespanntes Verhältnis
Seit Jahrzehnten driftet Israel immer weiter nach rechts. Religiöse Extremisten haben vor allem unter den von Netanjahu geführten Regierungen an politischem Einfluss gewonnen. Die anhaltenden israelischen Bemühungen, die Besatzung zu normalisieren und die Kontrolle über die Palästinenser zu festigen, bringen Israel insbesondere mit demokratischen Regierungen in Konflikt. Bei zentralen Themen wie dem Iran, israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland und einer palästinensischen Staatsgründung sind sie immer wieder mit diesen aneinandergeraten.
Die US-Regierung kritisiert nun zunehmend die enorme Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen. Sie fordert, dass für Israelis und Palästinenser ein „gleiches Maß an Freiheit, Chancen und Demokratie“ gelten soll. Doch die Ausweitung der israelischen Besatzung untergräbt diese Vision.
Der Wandel der öffentlichen Meinung in den USA in Bezug auf Israel könnte dazu führen, dass die Beziehungen einer Kurskorrektur unterzogen werden. Umfragen
verweisen auf eine wachsende Kluft zwischen älteren Wähler und jüngeren Wählern. Erstere können sich an das Israel der Tage des Oslo-Abkommens erinnern, als der Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung offen schien. Doch jüngere Wähler kennen nur ein Israel, das seinen einseitigen militärischen Vorteil nutzt, um eine politische Lösung mit den Palästinensern zu verhindern.
Eine wachsende Zahl US-amerikanischer Juden begreift sich als weltlich und liberal und fühlt sich immer stärker einem Israel entfremdet, das sich in ihrer Wahrnehmung in die andere Richtung bewegt. Dieser Riss ist nicht nur kulturell, er hat auch Auswirkungen auf die nationale Sicherheit.
„Auf lange Sicht werden die Werte, die die jüngere Generation vertritt, in den USA immer weiter in den Vordergrund rücken. Israel wird sich immer wieder daran stoßen und US-amerikanische Politiker werden feststellen, dass das, was vor 25 Jahren noch funktioniert hat, heute zu Problemen führt, wenn sie versuchen, auf AIPAC einzugehen“, meint Lustick.