4. Juni 2024

Hochwasser in Süddeutschland: Seit 40 Stunden auf den Beinen

Von Admins

Seit Samstagfrüh um 6 Uhr ist Tobias Kunz im Dauerstress. Der Bürgermeister von Nordendorf, einer kleinen 2.600-Einwohner-Gemeinde nördlich von Augsburg, kämpft verzweifelt gegen das Hochwasser der Schmutter. Zusammen mit 300 freiwilligen Helfern versucht er nichts weniger als die örtliche Grundschule zu retten.

„Wir haben gestern 40.000 Sandsäcke befüllt und damit einen 240 Meter langen Deich gebaut. Die Helfer sind teilweise 40 Stunden auf den Beinen, ohne Schlaf. Aber bei den extremen Wassermengen von heute hat selbst das nicht mehr ausgereicht“, sagt er gegenüber der DW.

Mann mit gelber Jacke blickt in die Kamera, im Hintergrund weitere drei Männer vor Hochwasser
„Wir machen weiter, koste es, was es wolle und immer da, wo wir gebraucht werden“ – Bürgermeister Tobias KunzBild: Oliver Pieper/DW

Eilig packen die Freiwilligen die schwarzen Sandsäcke von einer Ecke in die andere, Kunz ist als Koordinator gefragt und wird im Sekundentakt mit Fragen bombardiert. Die Schule falle auf jeden Fall an diesem Montag aus, erklärt er mit einem traurigen Lachen. Was ihn aber besonders bedrückt: Der Kampf gegen das Wasser um den neuen Sportplatz ist innerhalb kürzester Zeit verloren, der Damm ist gebrochen.

„Unser Schulsportplatz mit ungefähr einer Million Investitionskosten war in einer Viertelstunde unter Wasser. Alles, was mit Infrastruktur zu tun hat, ist überflutet. Auch unser Kanalsystem funktioniert nicht, die Schüler und Schülerinnen könnten gar nicht auf Toilette gehen.“

Luftaufnahme von Nordendorf, viele Straßen sind überflutet
Nicht nur den Sportplatz in Nordendorf hat es erwischt, die Schmutter hat ihr Flussbett weit überschrittenBild: Bernd März/IMAGO

Vor allem Baden-Württemberg und Bayern unter Wasser

In Nordendorf passiert gerade das, was viele Gemeinden in Süddeutschland durchmachen: Die Dämme halten den Wassermassen nicht stand, Dutzende Dörfer müssen evakuiert werden. Die erste Bilanz: In manchen Orten fiel in 24 Stunden mehr Regen als im Durchschnitt eines ganzen Monats, Pegelstände kletterten auf Werte, wie sie nur einmal in 100 Jahren erreicht werden. Vor allem Baden-Württemberg und Bayern waren an diesem Wochenende betroffen, Katastrophenalarm wurde in einigen Gemeinden ausgelöst. Ein Feuerwehrmann starb, mindestens eine Person wird vermisst.

Für viele kam das Ausmaß des Hochwassers völlig überraschend. So wie für die vier jungen Männer, die ein wenig unentschlossen einige Kilometer weiter südlich in Kühlenthal stehen. Ihr Problem: An das Haus, das sie gestern noch eifrig mit Sandsäcken geschützt hatten, kommen sie wegen des Hochwassers heute nicht mehr heran. Das Dorf wurde mittlerweile evakuiert und ist nur noch mit Gummistiefeln zu erreichen.

„Es ist das Haus der Eltern von einem von uns, die gerade in Österreich im Urlaub sind. Wir haben gestern noch versucht zu retten, was zu retten war. Aber das Wasser ist wirklich aus allen Richtungen gekommen. Immerhin konnten wir noch zwei Autos auf den Berg fahren und in Sicherheit bringen“, sagen sie gegenüber der DW.

Menschen stehen mit Gummistiefeln im Wasser
Für die jungen Männer und weitere Anwohner nah, ab er doch unerreichbar: die Gemeinde KühlenthalBild: Oliver Pieper/DW

Nach der Ahrtal-Katastrophe besser vorbereitet

In Diedorf, einige Kilometer westlich von Augsburg, hatten sechs Automobilbesitzer nicht ganz so viel Glück. Eine Tiefgarage lief komplett voll, die Keller der umliegenden Häuser auch. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Technischen Hilfswerkes pumpen mit einem Spezialgerät die braune Brühe ab. Unter Hochdruck, 10.000 Liter in der Minute.

Schläuche führen in eine vom Hochwasser vollgelaufene Tiefgarage
Sechs Autos liefen in einer Tiefgarage in Diedorf unter WasserBild: Oliver Pieper/DW

Auch in Diedorf brachen ein Deich und ein Damm. Zwar geht das Hochwasser dort jetzt wieder langsam zurück, die Pegel sinken wieder, von Entwarnung will im kleinen Feuerwehrhaus trotzdem niemand etwas wissen. Auch nicht Philipp Niegl, sogenannter erster Kommandant der Feuerwehr. Niegl macht den Job wie alle ehrenamtlich, eigentlich ist er Berufsschullehrer. Vielleicht hat er gerade deswegen die Ruhe weg. Sein Fazit:

„Die Warn-App Nina hat diesmal sehr gut funktioniert, die Katastrophenschutzsirene genauso. Und wir haben nach der Jahrhundertflut im Ahrtal nochmal von der Ausstattung nachgelegt, um besser vorbereitet zu sein: Wir besitzen jetzt einen Versorgungslastwagen, der auch durch tiefes Wasser fahren kann. Der hat diesmal sehr viele Menschen transportieren können.“

Mann steht in großer Halle im Blaumann, im Hintergrund Feuerwehrleute
„Wir haben mit Sandsäcken und mobilen Häuserschutzwänden auf das Hochwasser geantwortet“ – Philipp Niegl, ehrenamtlicher FeuerwehrkommandantBild: Oliver Pieper/DW

In Rekordzeit Evakuierungslager aufgebaut

Die Menschen, die evakuiert wurden und keinen Schlafplatz bei Verwandten oder Freunden gefunden hatten, konnten die Nacht in der nahen Sporthalle in Diedorf verbringen. In der Großstadt Augsburg ist das zentrale Auffanglager für alle Gestrandeten das riesige Messegelände. In Rekordzeit wurde hier ein Bettenlager für 300 Betroffene hochgezogen.

Orangene Bettgestelle mit Schlafsäcken
Schlafplätze für vom Hochwasser evakuierte Personen in der Messehalle in AugsburgBild: Oliver Pieper/DW

Augsburg habe Erfahrung in Katastrophenschutz, betont Pressesprecher Raphael Doderer, die Stadt habe Weihnachten 2016 wegen einer Weltkriegsbombe 54.000 Menschen evakuieren müssen. „Wir hatten heute Nacht 170 Personen da, heute Mittag waren es noch 130 und jetzt 80“, sagt Doderer der DW. „Größtenteils sind das ältere Menschen, die in Pflegeheimen wohnen. Von Pflegegrad 0 bis Pflegegrad 5, also auch Demenzkranke. Wir mussten die Seniorinnen und Senioren teilweise mit einem Unimog-Laster aus dem Haus zu einem Boot tragen, dann wieder in einen Unimog-Laster zurück und schließlich in den Krankentransportwagen.“

Einige ältere Menschen sind noch in der riesigen Empfangshalle übriggeblieben, auch die Eltern von Sabine Fischer und zwei befreundete Nachbarinnen. Um 2 Uhr in der Früh war die Nacht für Familie Fischer zu Ende. Die Schmutter, die sich sonst ruhig hinter dem Haus 70 Zentimeter breit durch den Ort Kühlenthal schlängelt, war plötzlich vier Meter breit, Wasser drang in den Keller ein.

Menschen sitzen auf Holzbänken um einen Tisch herum
Familie Fischer wartet sehnsüchtig darauf, in ihr Haus zurückzukehrenBild: Oliver Pieper/DW

Fischer sagt gegenüber der DW: „Wir warten und warten jetzt hier und wissen nicht, wie viel Wasser in unser Grundstück eingedrungen ist. Es war für uns einfach unvorstellbar, dass das so schlimm wird. Unser einziger Wunsch: so schnell wie möglich wieder nach Hause.“