‚India‘ oder ‚Bharat‘? Namensstreit auf dem Subkontinent
„Präsidentin von Bharat“: So stand es auf einer Karte zu lesen, mit der die indische Präsidentin Droupadi Murmu am Dienstag anlässlich des G20-Gipfels in Neu Delhi ausländische Staats- und Regierungschefs zu einem Abendessen einlud. Der Name „Bharat“ entstammt dem Sanskrit und steht dort für Indien.
Der Gebrauch dieser Bezeichnung in einer offiziellen Einladung anstelle des aus dem Englischen entnommenen und international bekannten Namens ‚India‘ löste in der Öffentlichkeit einige Debatten aus. Die hindu-nationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi plane, die offizielle Verwendung des englischen Namens des Landes abzuschaffen und durch den im Sanskrit gebräuchlichen zu ersetzen, mutmaßen Kritiker.
Tatsächlich hat die Regierung eine fünftägige Sondersitzung des Parlaments einberufen. Sie soll noch in diesem Monat stattfinden. Das Thema: eine Sonderresolution, die der Verwendung des Namens ‚Bharat‘ Vorrang gegenüber ‚India‘ einräumen soll.
Indiens viele Namen
Der Gebrauch des Namens ‚Bharat‘ ist im Land nicht ungewöhnlich, aber ebenso auch das dem Englischen entnommene ‚India‘ – beide Ausdrücke werden wechselseitig verwendet. Auch in Artikel 1 der indischen Verfassung heißt es übersetzt: „Indien, d. h. Bharat, ist eine Union von Staaten“. Damit bezieht sich die Verfassung sowohl auf den englischen wie auch den Sanskrit-Namen des Landes, das 1947 nach fast 200 Jahren britischer Herrschaft wieder unabhängig wurde.
Aus Sicht der Oppositionsparteien, die sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen haben mit dem Ziel, die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) bei den Parlamentswahlen im nächsten Jahr abzulösen, ist die von der BJP angestrebte Namensänderung jedoch problematisch.
„Zwar gibt es keine verfassungsmäßigen Einwände, Indien ‚Bharat‘ zu nennen, da ja auch diese einer der beiden offiziellen Namen des Landes ist. Ich hoffe aber, dass die Regierung nicht so dumm sein wird, auf die (aus dem Englischen entnommene) Bezeichnung ‚India‘ ganz zu verzichten. Denn der Name hat einen nicht zu unterschätzenden Markenwert“, schreibt Shashi Tharoor, ein hochrangiger Führer der wichtigsten Oppositionspartei Indian National Congress (INC), auf der Kurznachrichtenplattform X, ehemals Twitter.
„Wir sollten weiterhin beide Bezeichnungen verwenden, anstatt auf einen geschichtsträchtigen Namen zu verzichten, der auf der ganzen Welt anerkannt ist“, so Tharoor weiter.
Die Oppositionspolitikerin Mehbooba Mufti aus der Region Jammu und Kaschmir schreibt, die Abneigung der BJP gegen „Indiens Grundprinzip der Einheit in Vielfalt“ habe „einen neuen Tiefpunkt“ erreicht.
„Indem man die vielen Namen von ‚Hindustan‘ bis ‚India‘ auf jetzt nur noch ‚Bharat‘ reduziert, zeigt man Kleinlichkeit und Intoleranz“, kritisiert sie auf X.
Eine Frage des nationalen Stolzes?
Die BJP meint dagegen, der Gebrauch von ‚Bharat‘ werde den Nationalstolz wecken und das reiche kulturelle Erbe des Landes stärken.
„Das hätte schon früher passieren sollen“, kommentiert Bildungsminister Dharmendra Pradhan in einer Presseerklärung die Entscheidung von Premierminister Modi, künftig vor allem auf den Namen ‚Bharat‘ zu setzen. Dies sei das deutlichste Zeichen, dass das Land koloniale Denkweisen hinter sich lasse, so Pradhan.
Daher sollten sie fortan nicht mehr das dem Englischen entnommene ‚India‘, sondern nur noch ‚Bharat‘ verwenden, forderte auch Mohan Bhagwat, der Vorsitzende der ideologischen Kaderorganisation der BJP, Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), in der vergangenen Woche seine Landsleute auf. „Nur dann wird sich etwas ändern. Wir müssen unser Land ‚Bharat‘ nennen und das auch anderen erklären“, so Bhagwat.
Kritiker sagen, dass die RSS versuche, die Hindus als eine religiöse Gemeinschaft in eine politische Interessensgemeinschaft umzuformen. Ziel sei es, die Hindu-Hegemonie in einem Land mit hinduistischer Mehrheit zu etablieren und religiöse Minderheiten außen vor zu lassen.
Namensänderung nur ein politischer Kniff?
Politische Analysten denken, dass die BJP vor den Parlamentswahlen 2024 mit dieser Initiative das politische Fahrwasser ausloten will, um zu sehen, ob sie damit ihre konservative Wählerbasis sichern kann.
„Sie ist besorgt über anstehenden Wahlduelle“, sagt die politische Kommentatorin Neerja Chowdhury der DW. Darum versuche die BJP, nationalistische Gefühle zu schüren.
Es ist auch nicht das erste Mal, dass die BJP Namensänderungen durchführt. Seit 2014 hat die Partei die Namen mehrerer Städte und anderer historischer Orte in Indien geändert. Zudem hat sie in der Geschichtsschreibung des Landes neue Akzente gesetzt, um so ihre hindu-nationalistische Ideologie zur Geltung zu bringen.
Ein Beispiel ist jüngst die Renovierung des Central Vista im Herzen von Neu Delhi. Die Regierung hat dieses 35 Hektar große Areal voller Kulturdenkmäler in einen öffentlichen Bereich mit Museen und Regierungsgebäuden umgewandelt.
Der umgerechnet 2,1 Milliarden Euro teuren Sanierung fielen mehrere Gebäude zum Opfer. Außerdem wurden das Parlamentsgebäude, der Präsidentenpalast, das Gate of India und ein Kriegsdenkmal umgestaltet.
Nervosität vor der Wahl
Kritiker der Renovierung sagen, die BJP versuche damit, das historische Gedächtnis der Bevölkerung zu manipulieren und Symbole der britischen Kolonialherrschaft zu beseitigen.
Die Verwendung des Namens ‚India‘ abzuschaffen, dürfte Rechtsexperten zufolge aber keine leichte Aufgabe sein. Die Regierung müsste eine entsprechende Verfassungsänderung in beiden Kammern des Parlaments mit Zweidrittelmehrheit erreichen. Diese müsste dann von mindestens der Hälfte der Bundesstaaten ratifiziert werden.
Die Vorstöße zur Änderung des Landesnamens seien ein Hinweis, dass die BJP vor der Wahl nervös werde, meint Politanalyst Rasheed Kidwai. Das Oppositionsbündnis habe die Regierungspartei verunsichert.
„Bei den Parlamentswahlen 2014 und 2019 gab es kein Oppositionsbündnis. Das verschaffte der BJP einen klaren Vorteil. Diesmal sorgt die vereinte Opposition mit einer klaren Wahlstrategie für Nervosität bei der Regierungspartei“, so Kidwai gegenüber der DW.