Es waren nur zwei Bundesländer von insgesamt 16, in denen an diesem 1. September ein neuer Landtag gewählt wurde. Und es waren nur fünf Millionen Wahlberechtigte von mehr als 61 Millionen in ganz Deutschland. Trotzdem haben die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen mehr als nur regionale Bedeutung.
Zum einen, weil erstmals in einer Landtagswahl die rechtsextreme AfD mehr als ein Drittel der Wählerstimmen bekam. Zum anderen, weil noch nie Parteien, die in Berlin die Bundesregierung stellen, bei Landtagswahlen gemeinsam auf so schlechte Ergebnisse gekommen sind.
79 Prozent der Deutschen sind mit der Bundesregierung unzufrieden
Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen sammelte die dort erwiesen rechtsextreme AfD mehr als doppelt so viele Stimmen ein wie die sogenannten Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP zusammen. Deren Ergebnisse sind jeweils einstellig und reichen bei FDP und Grünen teilweise nicht einmal aus, um in Sachsen und Thüringen überhaupt noch in die Landtage einzuziehen.
Auch der SPD drohte laut Umfragen der Rauswurf aus den Landtagen, aber am Ende blieb den Sozialdemokraten dieses Debakel erspart. Wollten die Wähler der Bundesregierung einen Denkzettel verpassen? Vier von fünf Deutschen sind mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden und das nicht erst seit ein paar Monaten. Im ARD-Deutschlandtrend erheben die Meinungsforscher regelmäßig miserable Noten für Kanzler Olaf Scholz und seine Minister.
Abschiebungen kurz vor den Wahlen halfen nicht
Die Koalition wird als zerstritten und handlungsunfähig wahrgenommen. Man müsse sich „an die eigene Nase fassen“, räumte Grünen-Chef Omid Nouripour am Wahlabend ein. Da half es auch nicht, dass die Regierung noch kurz vor den Landtagswahlen kurzfristig und einmütig Konsequenzen aus der Messerattacke in Solingen zog. In der Migrations- und Sicherheitspolitik wurden Verschärfungen angekündigt, überraschend 28 Straftäter nach Afghanistan abgeschoben.
Die AfD sieht sich auf breiter Front bestätigt. Die Landtagswahlen hätten einen „historischen“ Wahlerfolg für ihre Partei gebracht, sagte die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel am Wahlabend und forderte die Bundesregierung zum Rücktritt auf. „Es ist auch eine Abstrafung der Ampel, es ist ein Requiem auf diese Koalition“, so Weidel. „Die Ampel sollte sich fragen, ob sie überhaupt noch weiterregieren kann. Spätestens nach den Wahlen in Brandenburg sollte diese Frage nach Neuwahlen auch gestellt werden, denn so kann es nicht weitergehen.“
Nur kein Ärger vor der nächsten Wahl
Am 22. September findet nach Sachsen und Thüringen im ostdeutschen Bundesland Brandenburg eine Landtagswahl statt. Auch dort liegt die AfD in Führung, aber dicht gefolgt von der SPD. Die Sozialdemokraten werden alles daransetzen, in den Wochen bis zum Wahltermin Ruhe zu bewahren, denn für sie steht in Brandenburg viel auf dem Spiel.
Seit 1990 führt sie dort die Regierung an. „Ich erwarte, dass alle sich jetzt noch mehr anstrengen als das bisher der Fall war“, mahnte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil am Wahlabend in Berlin. Man müsse gemeinsam darum kämpfen, Wählerstimmen zurückzugewinnen. „Alle müssen jetzt ihren Teil dazu beitragen, damit es jetzt besser wird.“
Schonfrist für Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz könne trotz der schwachen Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen weiter auf die Unterstützung seiner Partei zählen, so Klingbeil, der damit allen Personal-Diskussionen in der SPD eine Absage erteilte. Man werde mit Scholz an der Spitze in die nächste Bundestagswahl ziehen, wird aus der SPD-Spitze betont.
„Wir werden auch wieder gute Zeiten erleben“
Eine Einigkeit, die sich schlagartig ändern könnte, sollte in Brandenburg die Wiederwahl des seit elf Jahren amtierenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke scheitern. Dann könnte das Rumoren in der SPD lauter werden, statt Scholz den in der Bevölkerung weitaus beliebteren Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im September 2025 zu machen.
Das Konfliktpotenzial wächst in der Ampel
Ob die Koalition aus SPD, Grünen und FDP bis dahin hält? Die schlechten Ergebnisse bei den Landtagswahlen und die miserablen Umfragewerte auf Bundesebene drücken nicht nur auf die Stimmung. In den einzelnen Parteien werden die Rufe nach mehr Sichtbarkeit und einem schärferen Profil lauter. „Es wird für meine Partei jetzt auch darum gehen, sich stärker zu emanzipieren und deutlicher zu machen, was man nur mit der SPD bekommt und wo wir uns auch nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen“, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert.
Konfliktpotenzial bietet nicht nur der Haushalt für das kommende Jahr, der im Bundestag beschlossen werden muss. Abzuwarten bleibt auch, ob es die Regierung überhaupt schafft, die bereits angekündigten Verschärfungen in der Migrationspolitik umzusetzen. Es gibt durchaus einige kritische Stimmen in den linken Flügeln von SPD und Grünen, die mit den Beschlüssen nicht einverstanden sind.
Die Union macht Druck
Eigentlich kann sich keine der drei Regierungsparteien leisten, die Koalition platzen zu lassen. Bei einer vorgezogenen Bundestagswahl würden sie nach derzeitigem Stand keine Mehrheit mehr bekommen. Gewinner wären die AfD und die Union. CDU und CSU, die in Berlin die größte Oppositionsfraktion im Bundestag bilden, fordern den Rücktritt der Regierung schon länger.
„Die Ampelparteien sind abgestraft worden“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Wahlabend. „Eine Kanzlerpartei, die in den beiden Ost-Ländern nur noch einstellig ist, muss sich die Frage stellen, macht sie überhaupt noch Politik für das Volk in Deutschland?“
Die Union wird ihren Druck auf die Bundesregierung weiter erhöhen. Aktuell fordert sie nicht nur, dass die angekündigten Veränderungen in der Migrationspolitik schnell umsetzt werden, sondern drängt darüber hinaus auf weitere Verschärfungen. CDU-Chef Friedrich Merz hatte nach dem Messer-Anschlag in Solingen von einer „Überforderungsgrenze“ gesprochen, die im Land überschritten sei. Die Bundesregierung müsse eine „nationalen Notlage“ ausrufen, um Geflüchtete direkt an der deutschen Grenze zurückweisen zu können.