28. Dezember 2024

Krise in Südkorea: Die neue Rolle der Frauen

Von Admins

Als sich am 3. Dezember Demonstranten und bewaffnete Soldaten vor Südkoreas Parlament gegenüberstanden, war nicht zu übersehen, dass hier etwas Ungewöhnliches geschah.

Präsident Yoon Suk Yeol hatte eben erst in einer Fernsehansprache das Kriegsrecht ausgerufen, da strömten schon die ersten Menschen zum Gebäude der Nationalversammlung, um sich dem Militär entgegenzustellen. Politische Proteste in Südkorea uferten in der Vergangenheit schon häufig in Gewalt aus, aber dieser Protest war anders.

Hier drängten sich keine Leiber an Schutzschilde, auf das Schwingen von Schlagstöcken wurde nicht durch das Werfen von Molotowcocktails geantwortet. Stattdessen schwenkten die Menschen Leuchtstäbe und sangen die ganze Nacht hindurch K-Pop-Songs. Als der Morgen graute, sangen sie weiter, aber ersetzten ihre Leuchtstäbe durch Plakate, auf denen sie ihren Protest gegen Yoon und gegen die Ausrufung des Kriegsrechts deutlich machten. Nur wenige Stunden später hob Yoon das Kriegsrecht wieder auf.

In den Wochen seitdem suspendierte das Parlament Yoon vom Dienst und leitete ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn ein, über das das Verfassungsgericht nun entscheiden muss.

Die Bilder von den Protesten vor dem Parlament, vor dem Verfassungsgericht, vor dem Yoons Fall verhandelt wird, und auf dem Gwanghwamun-Platz, an dem sich traditionell viele Protestierende versammeln, zeigten eines ganz deutlich: Frauen waren diesmal an vorderster Front dabei.

Frauen treten aus dem Schatten

Einige Medien gehen davon aus, dass bis zu 40 Prozent der Demonstrierenden Frauen waren, von älteren Teenagern bis zu Frauen in ihren Vierzigern. Diese neue Generation von Frauen könnte bereit sein, eine größere Rolle bei der Gestaltung der Politik des Landes zu spielen, meinen Beobachter.

„Geschichtlich haben Frauen am politischen Diskurs kaum teilgenommen“, sagt Hyobin Lee, außerordentliche Professorin für Politik und Ethik an der Chungnam National University in Daejeon, Südkorea. „Der Anteil von Frauen in der südkoreanischen Politik ist bedrückend klein. Lediglich 17,1 Prozent der Abgeordneten in der Nationalversammlung sind Frauen.“

„Das zeigt, wie tief der Ausschluss von Frauen aus der Politik geht“, kritisiert sie gegenüber der DW. „Ein altes koreanisches Sprichwort lautet ‚Wenn die Henne kräht, stürzt das Haus ein‘. Damit werden Frauen ermahnt, sich nicht zu politischen Dingen zu äußern.“

Frauen protestieren gegen das Kriegsrecht
Eine neue Generation südkoreanischer Frauen will sich politisch Gehör verschaffenBild: Kim Hong-Ji/REUTERS

Lee ist überzeugt, dass Südkoreas Frauen es satt haben, als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Wenn konservative Politiker aus wahltaktischen Gründen bewusst die Spaltung zwischen den Geschlechtern schürten, meint sie, spiele das der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) in die Hände.

Bei den Parlamentswahlen im April 2024 hatte Yoons konservative Volksmacht-Partei (PPP) schlecht abgeschnitten, so dass er eine Minderheitsregierung anführen musste. Frauen waren schon vor den Wahlen politisch aktiver geworden und hielten diese politische Beteiligung auch bei den Protesten gegen das Kriegsrecht aufrecht.

Yoons Anti-Feminismus spricht junge Männer an

Zwei Jahre zuvor waren es junge Männer in ihren Zwanzigern und Dreißigern gewesen, die Yoon im Mai 2022 ins Präsidentenamt gewählt hatten. Seine anti-feministischen Aussagen sollen insbesondere jene Männer angesprochen haben, die trotz der schlechten Bilanz Südkoreas in Sachen Gleichstellung von der scheinbaren Öffnung des Landes für dieses Thema verunsichert waren. Während seines Wahlkampfes versprach Yoon, das Ministerium für Geschlechtergerechtigkeit und Familie abzuschaffen. 2022 wählten 58 Prozent der Frauen in ihren Zwanzigern Lee Jae-myung, den Kandidaten der Demokratischen Partei, 58,7 Prozent der gleichaltrigen Männer stimmten dagegen für Yoon. Im Amt schaffte Yoon dann umgehend Frauenquoten ab.

Die Unterstützung für Yoon ist nun in allen Altersgruppen stark gesunken, doch der Unmut zwischen den Geschlechtern bleibt. „Bei der Wahl von Yoon bestand eine klare Kluft zwischen den Geschlechtern und diese Kluft besteht meiner Meinung nach weiterhin“, bedauert eine Akademikerin aus Seoul, die ihren Namen nicht in den Medien lesen will, weil Frauen, die sich zu diesem Thema äußern, immer wieder angefeindet werden.

Südkorea kämpft um seine Demokratie – wieder einmal

„Aufgrund seiner Politik unterstützten viele Frauen, gerade junge Frauen, Yoon bei der Präsidentschaftswahl nicht. „Aber in dieser Altersgruppe besteht seit einigen Jahren eine Fremdheit, fast schon eine Abneigung zwischen Frauen und Männern“, erzählt sie der DW.

„Sie mögen einander nicht, weil Männer kulturell bedingt in der südkoreanischen Gesellschaft [öffentlich] aktiver waren und mit anderen Männern um Arbeitsplätze konkurrieren mussten. Doch jetzt, da mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, ist dieser Wettkampf noch härter geworden“, erläutert sie. „Viele Männer sind außerdem aufgebracht, weil sie Wehrdienst leisten müssen und Frauen nicht.“

Frauen verschaffen sich Gehör

Das Selbstvertrauen, das eine neue Generation südkoreanischer Frauen gewonnen habe, werde verhindern, dass sie sich wieder konservativen Erwartungen beugen, ist Professorin Lee überzeugt.

„Diese Generation hat Proteste wie die in den Achtzigern nicht erlebt“, betont sie mit Verweis auf die blutige Unterdrückung der pro-demokratischen Proteste gegen die Militärdiktatur von Chun Doo-hwan in der Stadt Gwangju. 1980 waren Zahlen der Regierung zufolge innerhalb von neun Tagen etwa 165 Zivilisten getötet worden, Tausende wurden verletzt und mindestens 73 werden noch immer vermisst.

„Für diese Generation sind Proteste neu. Sie begreift sie nicht als Kampf, sondern als Möglichkeit, die Stimme zu erheben“, meint Lee. „Der Protest ist für sie ein Mittel zur Selbstdarstellung.“ Diese Veränderung wird Bestand haben, ist sie überzeugt.

„Frauen mögen bei politischen oder sozialen Aktivitäten nicht an vorderster Front beteiligt gewesen sein, aber hinter den Kulissen haben sie sich immer unermüdlich für die Gesellschaft und das Land eingesetzt“, unterstreicht sie. „Frauen haben immer beigetragen, auch wenn sie unsichtbar waren.“

„Die jüngere Generation ist anders“, glaubt Lee. „Sie wuchsen auf, ohne offen wegen ihres Geschlechts diskriminiert zu werden und sind daran gewöhnt, ihre Meinung zu äußern. Wenn diese Generation sich weiterentwickelt und ihre Stimme erhebt, gibt es erhebliches Potenzial für eine stärkere Beteiligung und Repräsentation von Frauen. Davon bin ich überzeugt.“

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.