Neue Bündnisse gegen Rechtsextremismus und die AfD
Die Proteste in Deutschland reißen nicht ab. Jeden Tag kommen neue dazu. Und das seit Mitte Januar 2024 – auch in vielen kleinen Orten und Gemeinden. In Großstädten wie Hamburg, Köln oder Berlin wiederholen sich die Demonstrationen bereits. Die Teilnehmerzahlen gehen in die Millionen.
Auf den Straßen ist spürbar: es hat sich etwas angestaut in der Mitte der deutschen Gesellschaft. Über Jahre schien die in Teilen rechtsextreme Partei ‚Alternative für Deutschland‘, kurz AfD, unaufhaltsam aufzusteigen. Und das trotz ständiger rassistischer Provokationen und trotz Verbindungen in rechtsextreme oder sogar neonazistische Kreise.
Die Partei hat sich in ihrer jungen Geschichte zu einer radikalen politischen Kraft gewandelt, die massiv gegen den Islam, gegen Einwanderung und Asyl kämpft. Die den menschengemachten Klimawandel leugnet und im Stil eines Donald Trump die politischen Gegner mit Beschimpfungen und Verschwörungstheorien überzieht.
Deportationsphantasien von rechts außen
Und die, zumindest in Teilen, bereit zu sein scheint, auch über die Vertreibung oder Deportation von Deutschen zu diskutieren, falls sie aus Einwandererfamilien stammen.
Die Veröffentlichung dieser Debatte durch das Medienkollektiv „Correctiv“ am 10. Januar 2024 war der Auslöser für die beispiellosen Proteste. Dem Bericht zufolge hatten sich AfD-Politiker, Rechtsextremisten und Geschäftsleute getroffen, um über Massenabschiebungen zu diskutieren. Viele Deutsche hat die Empörung über solche rassistischen Planspiele auf die Straße getrieben.
„Das ist ein sehr positives Zeichen aus der demokratischen Mitte der Gesellschaft“, findet David Begrich vom Verein Miteinander in Magdeburg im DW-Gespräch. „Umso mehr, als dass es in den Klein- und Mittelstädten Mut kostet, sich öffentlich gegen die AfD und gegen Rechtsextremismus zu bekennen.“ Der Verein Miteinander e.V. engagiert sich als Fachstelle für Rechtsextremismus, berät Opfer und gesellschaftliche Institutionen.
Die gesellschaftliche Mitte wehrt sich
In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln bilden die Proteste eine ernsthafte aber auch entspannte Selbstvergewisserung der Mehrheitsgesellschaft, dem Aufstieg des Rechtsextremismus nicht tatenlos zusehen zu wollen. In kleinen Städten und Orten auf dem Lande sieht der Protest ganz anders aus.
Saalfeld in Thüringen zum Beispiel. Der kleine Ort im Osten der Republik ist eine Hochburg der extremen Rechten. Neonazis, rechtsextreme Kampfsportclubs und demokratiefeindliche sogenannte Reichsbürger, die von deutschen Königreichen träumen, gehören ganz selbstverständlich zur Stadt. „Hinterland“ nennen Beobachter Städte wie Saalfeld: die rechte Szene konnte hier über Jahre mehr oder weniger unbemerkt feste Strukturen etablieren. Und die AfD hat in Saalfeld sehr viele Anhänger. Wie auch in Thüringen insgesamt.
„Wenn ich mit Jugendlichen Rede, dann wird auch schon mal der Hitlergruß gezeigt“, erzählt Katharina Fritz. Sie kommt hier aus dem Landkreis Saalfeld Rudolstadt. Und sie ist aktiv bei der Jugendorganisation der sozialistischen Partei die Linke. Jetzt organisiert sie zusammen mit anderen Jugendverbänden den Protest gegen Rechtsextremismus und gegen die AfD in Saalfeld. „Durch diese ganzen Demonstrationen, die ja jetzt überall im Land passiert sind, haben wir uns für Saalfeld, Rudolstadt auch gedacht, wir müssen hier auch aufstehen, wir müssen auf jeden Fall Haltung zeigen gegen auch die AfD und gegen den Rechtsruck.“
Neonazi-Strukturen haben in Saalfeld eine lange Tradition. Mitte der 1990er Jahre schlossen sich von hier aus Neonazis zusammen: um Hitler zu verherrlichen und um das Land mit Hass zu überziehen. Sie formierten sich im sogenannten „Thüringer Heimatschutz“, der Jahre später weltweit für Schlagzeilen sorgen sollte.
Denn aus der Gruppe heraus formierte sich der selbsternannte „Nationalsozialistische Untergrund“. Die Terroristen mordeten, bombten und raubten von 1999 bis 2007 in ganz Deutschland. Zehn Menschen starben. Das Motiv: Rassismus. Verübt wurden die Verbrechen von zwei Männern und einer Frau. Aber das Netz der Unterstützer und Sympathisanten ist groß. Bis heute. Und reicht auch bis Saalfeld.
In der Provinz kostet Protest Mut
Dem Protest gegen die rechtsextreme Gefahr sind jetzt, im Januar 2024, viele Saalfelder gefolgt. 1500 versammeln sich auf den schmucken Markplatz der Stadt. Trotz strömenden Regens und winterlicher Kälte. Die Stimmung ist besonders. Die Menschen staunen selbst über den großen Zuspruch. In Saalfeld kostet es Mut, gegen Rechtsextremismus Gesicht zu zeigen. Die Liste der Bedrohungen gegen Politikerinnen, Journalisten, Demonstrierende ist hier in Thüringen lang. Aber auch die der rassistischen Angriffe und Beleidigungen gegen Geflüchtete, gegen People of Colour, gegen migrantische Deutsche.
Das besorgt auch junge Konservative in Saalfeld. „Stück für Stück merken die Leute hier, dass das rechtsextreme Problem nicht von alleine wieder weggeht“, sagt Eirik Otto. Er ist der Vorsitzende der Jungen Union in Saalfeld. „Und sie merken, dass auch die gesellschaftliche Mitte, die normalerweise nicht auf Demos zu finden ist, anfangen muss, Gesicht zu zeigen.“
Deswegen hat sich Eirik Otto mit der Jungen Union dem Aufruf angeschlossen. Und so stehen Mitglieder der linken Antifa (Antifaschistische Aktion) Seite an Seite mit vermeintlichen politischen Gegnern von der Jungen Union. Die Antifa ist auch hier umstritten. Die einen halten sie für ein wichtiges Netzwerk im Kampf gegen Rechtsextremismus. Politische Gegner dagegen sehen in ihnen selbst Extremisten von links.
„Natürlich gab es darüber längere Diskussionen“, erzählt Eirik Otto der Deutschen Welle. „Und wir müssen doch auch ganz ehrlich sein: Wir werden auch morgen nicht für das Gleiche stehen.“ Aber bei „Grundfragen der Demokratie und des Anstands“ müssten Linke und Konservative zeigen, wo die demokratischen Grenzen seien. Und wer außerhalb stehe: die AfD.
Wie nachhaltig und erfolgreich der Kampf gegen Demokratiefeindlichkeit und Rassismus hier in der Provinz ist, das ist für David Begrich nicht ausgemacht. „Dieses Engagement muss jetzt überführt werden in ein Engagement für die demokratische Kultur vor Ort. In Vereinen, in Initiativen, im vor-politischen Raum“, erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Als die Demo zu Ende geht, hat der Regen in Saalfeld aufgehört. Und gegen die Kälte wird getanzt: Zum spanischen Sommerhit „Macarena“ schunkeln die anwesenden Saalfelder gemeinsam. Junge Konservative, Antifa-Anhänger, Familien, Kirchenmitglieder, Kulturschaffende und ganz normale Saalfelder.