Olaf Scholz will geräuschloser regieren
Ein kleines Schloss in ländlich-idyllischer Lage. Die drei führenden Männer der Regierungskoalition gehen betont locker und freundlich miteinander plaudernd, ja scheinbar scherzend die kopfsteingepflasterte Einfahrt entlang. Kanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gaben sich nach der Klausurtagung der Bundesregierung im Schloss Meseberg bei Berlin alle Mühe, einen harmonischen Eindruck zu erwecken.
Seit Monaten dominiert lähmender Streit das Bild, das die Regierung nach außen abgibt. Die anfängliche Euphorie, mit der das Bündnis aus zwei linken und einer wirtschaftsliberalen Partei im Dezember 2021 die Regierungsgeschäfte übernahm, ist der Ernüchterung gewichen. Die Vorstellung, man könne unterschiedliche politische Überzeugungen zum Wohl eines gemeinsamen Ziels einfach hintenanstellen, hat sich im Regierungsalltag als Trugschluss erwiesen.
In Deutschland herrscht Krisenstimmung
Dabei braucht Deutschland eine handlungsfähige Regierung. Das Land rutscht immer weiter in die Krise, es droht eine Rezession. Die Konjunktur schwächelt, energieintensive Unternehmen planen wegen der hohen Strompreise die Abwanderung ins Ausland. Die Bürger fragen sich angesichts der Inflation, wie sie ihre täglichen Ausgaben noch bewältigen sollen. Wer eine bezahlbare Wohnung sucht, steht vor schier unlösbaren Problemen und die Bürgermeister in Städten und Gemeinden wissen nicht mehr, wo sie Asylbewerber noch unterbringen sollen.
Wie viel Zuwanderung braucht Deutschland?
Viele Bürger reagieren nur noch genervt. Eine Mehrheit haben SPD, Grüne und FDP in Umfragen schon lange nicht mehr. Im August gaben die Meinungsforscher von infratest-dimap bekannt, dass nur noch zwanzig Prozent der Deutschen mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sind. Ein neuer Tiefstand. Je unbeliebter die Ampel wird, um so mehr Zulauf hat die rechte AfD, die in Umfragen inzwischen vor der Kanzlerpartei SPD liegt.
Ist der Kanzler führungsschwach?
Auch Olaf Scholz persönlich wird immer unbeliebter. Im August waren laut ARD-Deutschlandtrend nur noch drei von zehn Wahlberechtigten mit der Arbeit des Kanzlers zufrieden, das ist ebenfalls Tiefstand. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa halten 63 Prozent der Deutschen den Kanzler für führungsschwach.
Tatsächlich bleibt Scholz häufig unsichtbar, wenn FDP und Grüne streiten. Wird die Lage zu kritisch, beschränkt er sich auf Appelle und sanfte Mahnungen. „Wir sind eine Regierung, wo gehämmert geschraubt wird und das führt zu Geräuschen, wie Sie schon gemerkt haben“, versuchte FDP-Chef Lindner in Meseberg beinahe scherzend zu beschwichtigen. „Aber es kommt auch etwas dabei raus.“ Der Kanzler ergänzte, man werde auch in Zukunft „hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfer, denn es soll ja nicht mehr gehört werden“.
Auf der Suche nach Kompromissen
Der Grüne Robert Habeck äußerte sich weitaus nachdenklicher. In den vergangenen Monaten hat der Wirtschaftsminister in der Koalition am meisten Federn lassen müssen. Die Frage, wie Deutschland in Zukunft emissionsfrei heizen kann, hat Habeck von einem der beliebtesten zu einem der umstrittensten Politiker des Landes gemacht.
Über die Gegensätze in der Koalition sagt Habeck: „Die Aufgabe dieser Regierung ist zu verstehen, dass verschiedene Blickwinkel eine Stärke sind, dass man voneinander lernen kann und dass Kompromisse etwas Gutes sind, um die Mitte und die Handlungsfähigkeit stabil zu halten.“
Kanzler, nicht Westernheld
Genau das entspricht der Linie des Kanzlers. Man sei eine Familie aus drei Parteien, die alle eine Meinung hätten, hatte Scholz schon vor der Sommerpause bemerkt. In dieser Konstellation sei er kein John Wayne, sagte er in Anspielung auf den Schauspieler, der oft den raubeinigen Westernhelden gab. Der sei vielleicht „das Standardmodell, das der ein oder andere super findet“, wenn es um politische Führung geht. Starker Mann, einer allein gegen alle. Aber so funktioniere das nicht.
Scholz ist mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet und davon überzeugt, stets das Richtige zu tun. Er denke nicht kurzfristig, sondern in langen Zeiträumen, heißt es über ihn. Unbeirrt weitermachen und nie an sich zweifeln, das ist das Motto, mit dem der jetzt 65-jährige Jurist seit mehr als drei Jahrzehnten Politik macht. Er hat er schon so manche politische Erschütterung erlebt, keine hat ihn längerfristig aus der Bahn werfen können.
Weniger Geld in der Staatskasse
Doch die Probleme, mit denen die Koalition zu kämpfen hat, werden nicht weniger. Zusätzlichen Druck in der Koalition erzeugt die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse. Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben tiefe Löcher in den Staatshaushalt gerissen. Die FDP will ab 2024 keine neuen Schulden mehr machen. Erreicht werden soll das über massive Kürzungen im Haushalt, die Steuern für Reiche zu erhöhen, kommt für die Liberalen nicht in Frage.
Ist genug Geld in der Staatskasse, können Gegensätze in einer Koalition noch überbrückt werden, indem jede Partei ihre zentralen Vorhaben umsetzen kann. Bei angespannter Kassenlage entfällt das. Abgesehen vom Verteidigungsministerium muss nun jedes Ministerium einen Kürzungsbeitrag leisten. Das sorgt für Dauerstreit darüber, was noch Priorität hat.
Zehn-Punkte-Plan für die Wirtschaft
SPD, Grüne und FDP eint, dass sie kein Interesse daran haben, die Koalition vorzeitig aufzukündigen. Bei Neuwahlen würden sie alle massiv verlieren. Das schweißt zusammen, auch wenn man sich in vielen Punkten weiterhin nicht einig ist. Beispielsweise bei der Frage, ob der Strompreis für die Industrie gedeckelt werden muss. Habeck will das, Scholz und Lindner lehnen das ab.
Geeinigt hat man sich in Meseberg auf zehn Punkte zur Ankurbelung der Wirtschaft. Darunter das so genannte Wachstumschancen-Gesetz, das Unternehmen um mehr als sieben Milliarden Euro entlasten soll und ein Gesetz, das die Bürokratie reduzieren soll. Die Koalition habe „zentrale Entscheidungen vorangebracht und sehr viele, sehr zahlreiche Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht“, so der Kanzler. „Das Parlament und die gesetzgebenden Körperschaften unseres Landes haben jetzt viel zu tun.“
Ruhe vor den Landtagswahlen
Ob die Lage damit befriedet ist? Im Oktober werden in den Bundesländern Bayern und Hessen neue Parlamente gewählt und ein Blick auf die Umfragewerte lässt erahnen, dass SPD, Grüne und FDP nicht gerade glänzend abschneiden könnten. Sollte es so sein, steht neuer Ärger ins Haus, denn dann wird jede Partei erneut versuchen, sich stärker zu profilieren. Der Druck auf die Koalition wird absehbar wohl nicht nachlassen.