Protest gegen die AfD: Suche nach Gegenstrategien
Es kommt selten vor in Deutschland, dass die Menschen überall in der Republik gleichzeitig auf die Straße gehen. Von Hamburg im Norden bis München im Süden, von Cottbus im Osten bis Köln im Westen. Und das über Tage. In Deutschland geht die Sorge vor der AfD und ihrer Politik um.
Auslöser der Proteste sind die Veröffentlichungen des Rechercheverbundes Correctiv. Die Journalisten hatte am 10. Januar 2024 von einem rechtsextremen „Geheimplan gegen Deutschland“ berichtet. Demnach trafen sich hochrangige AfD-Funktionäre mit Rechtsextremisten, Unternehmern und sogar CDU-Mitgliedern, um über die millionenfache Vertreibung von Migranten aus Deutschland zu diskutieren – und das auch, wenn sie die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
Angesichts zahlreicher anstehender Wahlen in Deutschland im Jahr 2024 warnen politische Beobachter vor den Folgen möglicher Wahlsiege der AfD. Denn vor allem bei den anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen hat die Alternative für Deutschland Chancen, stärkste politische Kraft zu werden.
„Wie lange hält der Protest an?“
Großdemonstrationen im ganzen Land gibt es immer wieder – auch gegen die AfD. Aber wie weit geht der Widerstand gegen rechtsextreme Deportationsphantasien im deutschen Alltag?
Beatrice Höllen studiert in Berlin auf Lehramt. Sie unterrichtet schon an einer Schule im Osten der Stadt. Die AfD ist hier stark. Höllen unterstützt den Protest. Aber sie betrachtet ihn auch mit Sorgen: „Heute sind die Mutigen draußen auf der Straße. Aber wie lange noch?“, fragt sie im Interview mit der DW. In ihrem Schulalltag macht sie viele negative Erfahrungen, wenn sie Themen wie Rechtsextremismus oder Menschenfeindlichkeit anspricht.
Viele Kolleginnen und Kollegen scheuten sich, kontroverse Debatten zu führen: „Die Engagierten müssen sich dann anhören: Warum tust Du Dir das an? Bist Du Dir sicher, dass Du das wirklich machen willst?“ Sie selbst ist sich sicher. Denn sie warnt vor den verheerenden Folgen, wenn Lehrer der Konfrontation ausweichen: „Dann hören sie den Rechten zu.“
Fehlende Solidarität im Kampf gegen Menschenfeinde
Immer wieder berichten Lehrerinnen und Lehrer über mangelnde Unterstützung im Kampf gegen rechtsextremes Gedankengut. Vor allem in den Regionen, in den die AfD stark ist – und vor allem im Osten der Republik.
Laura Nickel und ihr Kollege Max Teske wurden von ihrer Schule im Bundesland Brandenburg regelrecht vertrieben. Sie hatten die Zustände an ihrer Schule öffentlich gemacht: „Schüler kommen sich auf dem Gang mit Hitler-Gruß entgegen. Auf dem gesamten Schulmobiliar waren Hakenkreuze“ berichtet Laura Nickel. Die beiden Lehrer sprechen zunächst mit der Schulleitung; aber nichts passiert. „Nachdem wir mit der Presse gesprochen hatten, hatte ich Todesdrohungen“, erzählt Nickel auf einer Tagung der Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz.
Die diskutiert auf ihrer Jahrestagung, wie die Gesellschaft gegen antidemokratische Strukturen handeln kann. Auf der Wannsee-Konferenz am Rande von Berlin hatten die Nationalsozialisten im Jahr 1942 die Deportation und den Massenmord an den europäischen Juden geplant und vorbereitet.
„Die Angriffe werden offensiver!“
Die Leiterin der Bildungsstätte, Deborah Hartmann, beobachtet ebenfalls eine alarmierende Entwicklung in Deutschland: „Demokratische Kultur wird von immer mehr Menschen angegriffen“, warnt sie auf der Jahrestagung. Und das immer offensiver.
Wie viele andere Kulturschaffende, die sich mit der gewaltvollen deutschen Geschichte auseinandersetzen, wird sie von AfD-Politikern mit sogenannten ‚Kleinen Anfragen‘ konfrontiert. Die können in den Landtagen und im Bundestag von den Abgeordneten und Fraktionen gestellt werden. Sie sollen die Arbeit von Behörden und staatlich geförderten Einrichtungen transparent machen. Die AfD benutzt sie auch, um Einrichtungen ganz in Frage zu stellen, kritisieren Beobachter. Zwischen 2017 und 2021 stellte die AfD allein im Bundestag über 3100 solcher Anfragen – mehr als jede andere Partei. Für die Einrichtungen ist der Aufwand enorm, die Anfragen zu beantworten. Und in der Folge erleben sie oft Anfeindungen durch Rechtsextremisten.
„Vernetzt euch!“
Viele AfD Politiker lehnen die Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit ab. Der mächtige Landeschef von Thüringen, Björn Höcke, nennt das im Januar 2017 „dämliche Bewältigungspolitik“ und fordert eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.“ Höcke darf in Deutschland laut Gerichtsbeschluss als „Faschist“ bezeichnet werden: Das sei ein Werturteil, das „auf einer überprüfbaren Tatsachengrundlage“ beruhe, urteilte das Verwaltungsgericht Meiningen im Jahr 2019.
Das Dauerfeuer gegen die Demokratie hat nach Ansicht von Deborah Hartmann auch gesellschaftliche Konsequenzen. Zu viele Menschen würden sich dem Druck beugen und schweigen: „Entscheidend ist, dass wir nicht nur auf Großdemonstrationen gehen, sondern dass wir Haltungen, die wir vertreten, in unseren Alltag auf selbstverständliche Weise integrieren. Entscheidend ist, wie wir in unserem Alltag handeln.“
Nachdem Laura Nickel die Schule verlassen hat, hat sie sich mit anderen Lehrern in einem Bündnis zusammengeschlossen: „Schule für Demokratie“ heißt es. „Das wichtigste ist Vernetzung; ist es nicht alleine zu sein“, sagt Laura Nickel. „An jeder Schule gibt es Kolleginnen und Kollegen, die das gleiche erleben.“
Angst der Migranten
Lale Yildrim ist vorsichtig optimistisch, dass die Proteste nicht nur ein Strohfeuer sind: Die Hochschulprofessorin beschäftigt sich mit der Vermittlung von Geschichte an Schülerinnen und Schüler. „Ich teile die Sorge, dass das wieder ein Einzel-Aufstehen ist. Es gibt eine Demonstration – zwar in vielen Städten – und nächstes Wochenende gibt es dann ein anderes Event“, erklärt sie im DW Gespräch.
Sie fordert die Mehrheitsgesellschaft auf, die migrantische Perspektive ernst zu nehmen: „Eigentlich bewirken die Demonstrationen bei vielen Migranten, dass sie jetzt wirklich Angst haben“, sagt Lale Yildrim. „Wenn jetzt sogar die Weißen aufstehen, dann haben wir wirklich ein Problem.“ Denn wenn die Mehrheitsgesellschaft Angst vor der AfD bekomme, dann müsse die ohnehin schon stigmatisierte migrantische Bevölkerung die Partei umso mehr fürchten.