Rezession: Deutschland ist abgerutscht
Seit Donnerstag sichtet man wieder ein Gespenst in den ökonomischen Gefilden Deutschlands – es ist das Gespenst der Rezession. Denn das Statistische Bundesamt hat seine erste Schätzung des Bruttoinlandsproduktes für den Jahresbeginn nach unten korrigiert, und das nicht zu knapp: Einen Rückgang der Wirtschaft um 0,3 Prozent haben die Statistiker in Wiesbaden nun im Detail errechnet. In ihrer ersten Schätzung waren sie noch von einem Nullwachstum ausgegangen.
Da das Bruttoinlandsprodukt bereits im vorausgehenden letzten Quartal des Jahres 2022 um 0,5 Prozent geschrumpft war, ist die Definition einer Rezession gegeben – technisch zumindest. Denn Ökonomen sprechen von einer Rezession, wenn die Wirtschaftsleistung in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen zurückgeht.
„Aus konjunktureller Perspektive wird es ein mühsamer Sommer werden“, meint Holger Bahr gegenüber DW. Er ist Chef der volkswirtschaftlichen Abteilung der Deka Bank. „Und es ist unangenehm genug, dass man in Folge von zwei rückläufigen Quartalen im Rückspiegel von einer milden Rezession in Deutschland sprechen muss.“
Die Leute halten ihr Geld zusammen
Schwach ausgefallen ist vor allem der private Konsum. Der ging den Daten der Statistiker zufolge um 1,2 Prozent zurück. Dabei zeige sich die Zurückhaltung in verschiedenen Bereichen. „Sowohl für Nahrungsmittel und Getränke als auch für Bekleidung und Schuhe sowie für Einrichtungsgegenstände gaben die privaten Haushalte weniger aus als im Vorquartal.“ Zudem wurden weniger neue Pkw von privaten Haushalten gekauft. Das dürfte unter anderem am Wegfall der Prämien für Plug-in-Hybride und die Reduzierung der Prämien für Elektrofahrzeuge zum Jahresbeginn 2023 liegen.
Allerdings liegt dem schwindenden Konsum ein tieferes Problem zu Grunde: Die nach wie vor hohe Inflation. „Die massiv gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert“, stellt Jörg Krämer fest, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Denn die Löhne halten nicht mit der hohen Inflation mit, was zu Kaufkraftverlusten führt.
Zwar schaffen es Gewerkschaften in den meisten Branchen, in Tarifverhandlungen deutlich höhere Löhne durchzusetzen. Allerdings verteilen sich die Steigerungen in der Regel auf zwei Jahre und vollziehen sich in Stufen. Das bedeutet bei anhaltend hoher Inflation weiter einen Rückgang der Reallöhne. Deutlich nachgelassen haben zu Jahresbeginn aber auch die staatlichen Einkäufe: Der Staat gab knapp fünf Prozent weniger als im Vergleich zum Vorquartal dafür aus.
Viele Bauprojekte liegen auf Eis
Positive Impulse kamen zu Jahresbeginn dagegen von den Investitionen. Sie verzeichneten einen Anstieg um knapp vier Prozent. Vor allem Bauinvestitionen haben zugelegt, was den Statistikern zu Folge auch am vergleichsweise milden Winter gelegen hat – da konnten die meisten Firmen durcharbeiten.
Allerdings erfährt die Baubranche derzeit massiven Gegenwind. Wegen hoher Materialkosten und steigender Zinsen werden Bauprojekte verschoben oder abgesagt. Der positive Impuls zum Jahresstart dürfte also nachlassen oder ausbleiben. „Ich gehe davon aus, dass wir jetzt durch eine längere Durststrecke gehen werden und erst in einem guten Jahr wieder deutliche Verbesserungen sehen werden“, schreibt der Chefvolkswirt der ING Deutschland, Carsten Brzeski.
„Düster sieht es für das zweite Halbjahr aus“, prognostiziert auch der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Dann sind die Nachholeffekte in der Industrie aufgezehrt. Einen Ausgleich für den zu erwartenden fortgesetzt schwachen privaten Konsum und die angeschlagene Bauwirtschaft gibt es damit nicht mehr.“ Daher werde sich seiner Ansicht nach der Schrumpfkurs der deutschen Wirtschaft fortsetzen.
In diese Richtung weist auch das Ifo-Geschäftsklima. Der wichtigste Konjunkturindikator ist in dieser Woche zum ersten Mal seit sechs Monaten wieder gefallen – die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft hat sich also eingetrübt. „Alles in allem sind die Konjunkturrisiken in den zurückliegenden Monaten deutlich gestiegen“, meint daher auch Volkswirt Jörg Krämer. „Wir halten eine technische Rezession in der zweiten Jahreshälfte für wahrscheinlicher als eine konjunkturelle Erholung, die die meisten Volkswirte noch immer erwarten.“
Zinserhöhungen entfalten ihre Wirkung
Bremsend auf die Wirtschaft schließlich wirken die stark angestiegenen Zinsen. Damit versucht die Europäische Zentralbank, die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Am Mittwoch hatte EZB-Chefin Christine Lagarde anlässlich der Feier zum 25-Jährigen Bestehen der EZB angekündigt, diesen Kurs fortsetzen zu wollen. Denn es sei vorrangige Aufgabe der Notenbank, das Inflationsziel von zwei Prozent und damit Preisstabilität zeitnah zu erreichen. „Und diese Aufgabe werden wir erfüllen“, so die Französin. Und das ist ja das Ziel von Zinserhöhungen: Der Wirtschaft den Schwung nehmen, um die Preise zu drücken. Die Gefahr lauert allerdings, das Wirtschaftswachstum komplett abzuwürgen. Das passiert gerade in Deutschland, andere europäische Länder sind da im Moment besser aufgestellt.
Es ist also wirtschaftlich durchaus mit Gegenwind aus verschiedenen Bereichen zu rechen. Stand jetzt dürfte die Prognose der Bundesregierung eines Wachstums von 0,4 Prozent in diesem Jahr kaum zu erreichen sein. Das Gespenst der Rezession ist zurück.