Russlands Krieg gegen die Ukraine – wer könnte vermitteln?
Verhandlungsmasse schaffen – das wird immer wieder angeführt als ein mögliches Ziel, weshalb das ukrainische Militär seit dem 6. August auf russisches Staatsgebiet eingedrungen ist. Nach offiziellen Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj steckt hinter den ukrainischen Eroberungen in der Region Kursk das Ziel, eine Pufferzone auf dem Territorium des Aggressors zu bilden. Militärexperten bezweifeln, ob die Ukraine die Gebiete länger halten kann. Doch in Kiew dürfte klar sein: Sollte es eines Tages zu Verhandlungen kommen, dürfte Russland sich wohl kaum aus dem Donbass, der Region Saporischschja oder von der Krim zurückziehen, ohne im Gegenzug dafür einen Preis zu verlangen.
Noch liegen Verhandlungen in weiter Ferne. Doch für den Fall, dass es militärisch früher oder später darauf hinausläuft, kämen schon heute verschiedene Vermittler in Frage. Wir stellen einige von ihnen vor.
Indien
„Indien ist der festen Überzeugung, dass kein Problem auf einem Schlachtfeld gelöst werden kann“ – diese Losung gab Premierminister Narendra Modi in Warschau aus, bevor er den Zug in Richtung Kiew bestieg. Inzwischen hat er sich in der ukrainischen Hauptstadt mit Präsident Selenskyj getroffen. Dabei wollte Modi nach eigenem Bekunden „Perspektiven für eine friedliche Lösung des aktuellen Ukraine-Konflikts“ ausloten.
Für die Ukraine dürfte vor allem die Frage sein, wie deutlich sie mit ihrer Perspektive auf den Krieg durchdringt. Indien hat die russische Invasion nie explizit verurteilt. Es unterhält enge wirtschaftliche Kooperationen, kauft beispielsweise massenhaft russische Waffen. Seit Kriegsbeginn bezieht Indien sogar deutlich mehr Öl von Russland und stützt damit die Kriegswirtschaft. Anfang Juli war Modi in Moskau zu Besuch. Die Bilder einer herzlichen Umarmung mit dem dortigen Machthaber Wladimir Putin dürften Modis Kiew-Mission wohl kaum einfacher machen. Ob Modi sich als Vermittler eignet, nachdem er nun auch Selenskyj in die Arme geschlossen hat, wird sich zeigen – ganz persönlich sei er dazu bereit, sagte Modi in Kiew.
China
Auch China steht wirtschaftlich de facto längst eher auf Seiten Russlands, das seit Kriegsbeginn als Absatzmarkt wie als Rohstofflieferant an Bedeutung gewonnen hat. Peking enthielt sich in Abstimmungen bei den Vereinten Nationen. Anstatt Russland für seine Invasion zu kritisieren, empfing Präsident Xi Jinping im Mai sogar Putin mit militärischen Ehren.
Dessen ungeachtet bringt sich China auch als Vermittler ins Spiel: Am 24. Februar 2023, dem ersten Jahrestag der russischen Invasion, stellte es ein Papier vor, das in zwölf Punkten die chinesische Position darlegte. Als Eckpfeiler wurden die territoriale Integrität, die Achtung des Völkerrechts und der Schutz der Zivilbevölkerung genannt, aber auch die Ablehnung einseitiger Sanktionen.
China schickte einen Sondergesandten in eine Reihe neutraler Staaten des globalen Südens. Von der internationalen Friedenskonferenz in der Schweiz im Juni 2024 blieb es fern – die Ukraine warf Peking damals vor, das Gesprächsformat unterminieren zu wollen.
Brasilien
Nach einem Besuch des chinesischen Sondergesandten stellte Brasilien im Mai 2024 gemeinsam mit China einen eigenen Sechs-Punkte-Plan
vor: Gefordert wurde, dass keine Seite das Konfliktgebiet weiter vergrößert und dass Russland und die Ukraine stattdessen in direkten Dialog treten sollten. Massenvernichtungswaffen sollten ausgeschlossen, Zivilisten geschützt, Kriegsgefangene ausgetauscht werden.
Bislang ist Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva als möglicher Vermittler eher glücklos aufgetreten: 2023 ließ er angebotene Treffen sowohl mit Putin als auch mit Selenskyj platzen und ließ sich stattdessen jeweils zitieren, seine Gegenüber seien momentan nicht an Frieden interessiert. Bei der Schweizer Konferenz in diesem Juni verweigerte er seine Unterschrift unter das Abschlussdokument, weil man keinen Konflikt lösen könne, indem man nur mit einer Seite rede.
Brasilien ist jedoch für beide Seiten ein wichtiger Partner auf der diplomatischen Bühne – wenn die Zeit für Vermittlungen reif ist, hoffen viele, dass Lula etwas bewirken könnte.
Katar
Nicht nur im Nahostkonflikt, sondern auch im Krieg zwischen Russland und der Ukraine hat sich Katar als Vermittler angeboten. In Doha liefen bis Anfang August sogar aussichtsreiche geheime Gespräche, berichtete die „Washington Post“
vor einigen Tagen. Diese seien jedoch von der ukrainischen Kursk-Offensive torpediert worden. Katar hat sich in den vergangenen Jahren als Vermittler in zahlreichen Konflikten eine gewichtige Position erarbeitet.
Möglicherweise hat der kleine, aber reiche Golfstaat aus dem diplomatischen Konflikt und Boykott durch andere arabische und nordafrikanische Länder 2017-2021 gelernt, dass es auch für die eigene Sicherheit von Vorteil ist, belastbare Beziehungen mit vielen unterschiedlichen Partnern aufzubauen.
Türkei
Im Frühjahr 2022 hätten sich Russland und die Ukraine nach Verhandlungen auf türkischem Boden beinahe auf einen Waffenstillstand geeinigt – das Massaker russischer Truppen im ukrainischen Butscha zerstörte damals die Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe. Die Türkei kontrolliert durch ihre Lage beidseits des Bosporus den Zugang zum Schwarzen Meer und kann damit Druck auf beide Seiten entfalten.
Von Juli 2022 bis Juli 2023 setzte Präsident Recep Tayyip Erdogan sein diplomatisches Kapital für Abkommen mit beiden Seiten ein, die den sicheren Transport ukrainischen Getreides auf dem Seeweg ermöglichten. Russland verhinderte die Verlängerung des Mechanismus‘. Was bleibt, ist der Beweis, dass die Türkei potenziell erfolgreich zwischen Russland und der Ukraine vermitteln kann.
Südafrika, Senegal, Sambia, Afrikanische Union
Die womöglich unterschätzten Schlichter in diesem Konflikt kommen aus Afrika – einem Kontinent, der beiden Kriegsparteien wichtig ist: Russland baut systematisch seinen Einfluss vor allem in West- und Zentralafrika aus. Die Ukraine stellt sich dem punktuell entgegen und umwirbt potenzielle eigenen Verbündete – Außenminister Kuleba war erst Anfang August in Sambia, Malawi und Mauritius.
Der sambische Präsident Hakainde Hichilema hat sich schon einmal persönlich als Vermittler eingebracht: Im Juni 2023 reiste er gemeinsam mit seinen Amtskollegen Cyril Ramaphosa aus Südafrika, Macky Sall aus dem Senegal und Azali Assoumani von den Komoren (die zu dem Zeitpunkt in der Afrikanischen Union den Vorsitz innehatten) mit Vertretern weiterer Staaten nach Kiew und Sankt Petersburg. Die Reise brachte damals kein greifbares Ergebnis zustande.
Mehrere afrikanische Staaten haben sich trotzdem weiter engagiert, etwa in der Schweiz oder bei der folgenden Gesprächsrunde Anfang August in Dschidda. Denn auch in Afrika haben viele ein Interesse daran, den Krieg zwischen Russland und der Ukraine beizulegen.