Scholz in Zentralasien: Zwischen Symbol- und Geopolitik
Die erste Reise von Olaf Scholz nach Zentralasien gilt als eine Geste der Unterstützung für die 2023 in Berlin verkündete „strategische regionale Partnerschaft“. Vom 15. bis 17. September ist der deutsche Bundeskanzler in Usbekistan und Kasachstan, wo er an einem Gipfel mit fünf postsowjetischen Republiken in Zentralasien (Z5) teilnehmen wird. Neben den beiden genannten sind es Kirgisistan, Turkmenistan und Tadschikistan. „Der Schwerpunkt wird sein, die Wirtschaftsbeziehungen zur Region zu verbessern“, sagte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) der DW. Scholz werde von einer „großen und hochrangigen Wirtschaftsdelegation“ begleitet, teilte die Regierung in Berlin mit.
Auch der stellvertretende Außenminister von Kasachstan, Roman Wasilenko, wies darauf hin. „Der Besuch von Olaf Scholz ist ein starkes politisches Signal, vor allem von Deutschland selbst. Es ist kein Zufall, dass er von einer sehr großen Delegation deutscher Wirtschaftskapitäne begleitet wird“, sagte Wasilenko der DW. Der Besuch werde den Beziehungen „neuen Schwung“ verleihen.
Migrationsabkommen mit Usbekistan
Vor dem Hintergrund der angespannten innenpolitischen Lage in Deutschland scheint der Besuch von Scholz noch dringlicher. Vor der Reise gab es Presseberichte, wonach in Usbekistan bei einem Treffen mit Präsident Shavkat Mirziyoyev ein bilaterales Migrationsabkommen unterzeichnet werden könnte. Usbekistan dürfte Deutschland demnach Hilfe anbieten, die illegale Migration einzudämmen, auch die aus Afghanistan. Im Gegenzug würde es gerne die Arbeitsmigration seiner eigenen Bürger vereinfachen. Usbekistan ist mit 37 Millionen Einwohnern der mit Abstand bevölkerungsreichste der fünf asiatischen Staaten.
Vor dem Hintergrund der Debatte um Kriminalität durch Migranten und der Popularität von Rechtspopulisten ist die Bekämpfung der illegalen Migration in Deutschland zu einem zentralen Thema geworden. Die Regierung Scholz hat kürzlich eine Reihe von Beschränkungen, einschließlich stärkerer Grenzkontrollen, beschlossen.
Laut einem Bericht der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fördert Deutschland seit langem die Zusammenarbeit mit Zentralasien innerhalb der Europäischen Union. Die erste Strategie wurde 2007 verabschiedet, eine aktualisierte Version folgte 2019 – ebenfalls auf Initiative Berlins. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 hat den Beziehungen zu der Region neue Bedeutung verliehen. Den Autoren zufolge ist das Interesse gegenseitig: Deutschland möchte seine Energieversorgung diversifizieren, während die zentralasiatischen Länder den „russischen Neoimperialismus als latente Gefahr“ für sich sehen und aus geopolitischen Gründen eine wirtschaftliche und politische Partnerschaft anbieten.
Partnerschaft bleibt hinter den Erwartungen zurück
Im September 2023 wurde auf dem ersten Z5+1-Treffen in Berlin eine strategische Partnerschaft in vier Bereichen beschlossen: Wirtschaft und Energie, regionale Zusammenarbeit, Klimaschutz und zwischenmenschliche Kontakte. Für Deutschland gilt der Energiesektor als einer der wichtigsten. Nachdem der Bezug von Öl und Gas aus Russland im Rahmen der EU-Sanktionen eingeschränkt wurde, sucht Berlin nach einem Ersatz. Kasachstan ist mittlerweile der drittgrößte deutsche Öllieferant. Seit März 2023 liefert das flächengrößte Land der Region unter anderem Öl an die Raffinerie Schwedt in Brandenburg, die von russischen Lieferungen abhängig und deshalb angeschlagen war. Doch auch Moskau profitiert von dem Abkommen, da es Geld für den Pipeline-Transit erhält.
Kasachstan hat auch das mit Abstand größte Bruttosozialprodukt der Z5 und ist unter ihnen der wichtigste Wirtschaftspartner Berlins. Der Handelsumsatz betrug im Jahr 2023 8,7 Milliarden Euro. Mit Usbekistan waren es 1,2 Milliarden Euro.
Dennoch hat sich in dem Jahr seit dem Gipfel in Berlin wenig verändert, sagen die von der DW befragten Experten. Der erhoffte Durchbruch bei den Wirtschaftskontakten in Zentralasien sei ausgeblieben. Jacopo Maria Pepe, einer der Autoren des SWP-Berichts, lobt die Reise von Scholz, glaubt aber, dass es bisher „wenig Konkretes“ in den Beziehungen gebe. Viele Projekte seien bereits vor der Ankündigung der strategischen Partnerschaft in Vorbereitung gewesen, etwa im Bereich der Wasserstofftechnologie.
Deutsche Wirtschaft zögert bei Investitionen
Stefan Meister von der DGAP sieht das ähnlich: „Mein Eindruck ist, dass hier sehr viel Symbolpolitik betrieben wird, und ehrlich gesagt, sehe ich eher eine Frustration in den zentralasiatischen Ländern, die hohe Erwartungen an die Zusammenarbeit mit Deutschland hatten.“ Auch auf der deutsch-kasachischen Expertenkonferenz im April 2024 in Berlin, die vom Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft mit organisiert wurde, wurde Enttäuschung geäußert. Der Stand der Zusammenarbeit entspreche nicht dem Potenzial, aber „der Ball liegt auf deutscher Seite“, heißt es in einem Artikel auf der Website der Lobbyorganisation. Warum?
SWP-Experte Pepe nennt mehrere Faktoren, darunter Rechtsunsicherheit, unzureichende Marktreformen, aber auch Unwissenheit über die Besonderheiten Zentralasiens. Er bezeichnet aber „die politischen Risiken und die Instabilität der Region“ als einen noch wichtigeren Faktor. In Kasachstan kam es Anfang 2022 zu tödlichen Massenprotesten, die von einer russisch geführten Einsatztruppe des Militärbündnisses OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) niedergeschlagen wurden, dem auch weitere ehemalige Sowjetrepubliken in der Region angehören.
Diese enge Bindung an Russland ist dem Vertrauen deutscher Investoren nicht zuträglich, meint Pepe. Westliche Partner müssten befürchten, Sanktionen gegen Russland könnten auch ihre Investitionen in Zentralasien beeinträchtigen. Auch der Verdacht, Firmen aus der Region könnten Russland helfen, die Sanktionen zu umgehen, stehe im Raum. Die Länder der Region streiten ab, dass sie gegen westliche Beschränkungen verstoßen, auch wenn sie mit Russland handeln. Bislang sind nur wenige zentralasiatische Unternehmen von EU-Sanktionen betroffen.
Ein weiterer Grund für das schwache Handelswachstum sei die Konkurrenz aus China, sagt Pepe. Firmen aus China böten zunehmend Waren an, die in ihrer Qualität mit deutschen Waren vergleichbar, aber billiger seien.
Diplomatie vor Friedenskonferenz zur Ukraine
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dürfte ein weiteres Thema des Scholz-Besuchs sein, auch in Vorbereitung auf eine von Kiew initiierte zweite Friedenskonferenz. Die Ukraine und ihre Partner, darunter Deutschland, sprechen über die Notwendigkeit, auch Russland einzuladen. Beobachter gehen davon aus, dass Scholz, der kürzlich sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj getroffen hat, dieses Thema in Kasachstan und Usbekistan ansprechen dürfte.