Skandal um Josif Prigozhin – Wie regimetreu ist die Musikszene Russlands
Eine halbe Stunde, die womöglich ihr ganzes Leben verändert: Musikproduzent Iosif Prigozhin und Oligarch Farhad Akhmedow plaudern über den Ukraine-Krieg und die russische Politik. Dabei beleidigen sie regelrecht den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew. Was die beiden Freunde nicht ahnen: Ihr Gespräch wird aufgezeichnet und später veröffentlicht. Im umstrittenen Telefonat beschwert sich Akhmedow: „Uns, unseren Kindern wurde die Zukunft, ihr Schicksal versaut.“ Der gebürtige Aserbaidschaner, der bis 2009 sogar Abgeordneter des russischen Parlaments war, beschimpft den Kremlchef: „Er schert sich einen Dreck um die Menschen. Er ist der verdammte Satan. Er ist ein verdammtes Weichei.“ Obendrauf sei Putin „ein Liliputaner, unterentwickelt und inkompetent“. Darauf Prigozhin zustimmend: „Natürlich sind sie verdammte Kriminelle!“ Am Ende fällt Akhmedows Urteil: Putin werde sich nicht retten können: „Er wird zur Verantwortung gezogen werden.“
Ist das Gespräch echt oder eine Fälschung?
Direkt nach der Veröffentlichung kommen Zweifel auf: Ist die Aufnahme echt? Prigozhin streitet zunächst alles ab, gibt dann aber doch zu, dass einige Sätze echt seien. Insgesamt sei aber das Gespräch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz gefälscht worden. Akhmedow hat sich bisher nicht geäußert. Doch viele in Russland, so wie der Literaturkritiker und Dichter Ilya Kukulin gehen davon aus, dass das Gespräch echt ist, wie er der DW mitteilte: „Der Beweis dafür sind viele Details. Man muss sich wirklich sehr anstrengen, um das alles zu erfinden.“
Kann man eine Spaltung der russischen Eliten erkennen?
Kukulin sagt, dass es jede Menge Produzenten in Russland gibt, die so denken wie Prigozhin. Trotzdem kann von keiner Spaltung der Eliten die Rede sein. Artemy Troitsky, Russlands bekanntester Musikkritiker, stellt im Gespräch mit der DW fest: „90 bis 95 Prozent der russischen Musikbranche, eigentlich der gesamten Kulturbranche, sind schockiert, was momentan passiert. Trotzdem schweigen sie.“
Oder aber sie würden nach Außen hin Putin und den russischen Krieg mit Aussagen, Teilnahmen an pro-russischen Konzerten oder in Videoclips unterstützen. Sobald sie aber in ihren eigenen vier Wänden seien, würden sie die Situation eine Katastrophe nennen. „Im Allgemeinen ist diese Doppelzüngigkeit verständlich. Tatsache ist, dass die gesamte russische Elite, und dazu gehören Geschäftsleute und Spitzenbeamte und sogar Vertreter der Sicherheitskräfte, während dieses Krieges viel verloren haben. Sie können nicht mehr ins Ausland reisen. Viele stehen auf der Sanktionsliste. Manche haben ihre Geschäfte verloren“, erklärt Troitsky. Andererseits sei Russland immer Teil der Weltkultur gewesen, einschließlich des globalen Showbusiness. Künstler hätten Auftritte, Verträge mit den Verlagen im Westen. Heute gelte das nur noch für diejenigen, die den Krieg öffentlich verurteilten und Russland verließen. „Die haben alle Angst, sich offen gegen den Krieg, gegen Putin und gegen all diese Kriegsverbrechen auszusprechen. Alles in allem sind diese Künstler natürlich nicht zu beneiden. Gleichvoll verdient ihre feige Haltung auch keinen Respekt“, so Troitsky.
Warum ist die Musikszene wichtig für den Kreml?
In Russland existiert eine sehr lange Tradition, Musik für politische Zwecke zu nutzen. Bereits in der Sowjetunion war das ausgeprägt – große Komponisten wie Dmitri Schostokowitsch oder Sergej Prokofjew haben Hymnen, Militärmusik und Märsche geschrieben. Auch gab es Unmengen an Liedern über den russischen Revolutionsführer Lenin, die Kommunistische Partei und den Großen Vaterländischen Krieg, wie der zweite Weltkrieg in Russland genannt wird. In den 1980-1990er Jahren kam diese Tradition zum Erliegen. Jetzt erlebt sie eine Renaissance. „Im Vergleich zur Sowjetzeit muss man natürlich sagen, dass die Qualität dieser Pop-Propaganda ins Unermessliche gesunken ist“, resümiert Musikkritiker Troitsky. Früher hätten die Menschen patriotische Lieder geliebt. Damit sei aber jetzt Schluss: „Es gibt nur noch Opportunisten, Konformisten und mittelmäßige Sänger und Sängerinnen, die in diesem Bereich arbeiten.“
Trotzdem sei es wichtig für den Staat, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Augen der Öffentlichkeit als legitim darzustellen und ein nationalistisches Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Und das gehe nun mal am besten mit patriotischen Liedern: „Der Staat hält all diese riesigen Kundgebungen in Stadien ab, auf dem Roten Platz und so weiter. Natürlich können solche Veranstaltungen nicht nur mit Reden gefüllt werden. Das wäre zu langweilig.“ Für Troitsky ist aber klar, dass es sich nicht um ein Massenphänomen handelt. Es gäbe nur ein Dutzend Pop-Propagandisten, die überall auftreten: „Im Großen und Ganzen ist diese Pop-Propaganda der Putin-Ära eine gescheiterte Geschichte. Genau wie sein Krieg in der Ukraine“.