Solidarität und Sorge: Griechenland und der Nahost-Konflikt
Schock, Entsetzen, Schmerz und Angst – so lässt sich zusammenfassen, was die meisten Menschen in Griechenland nach dem schrecklichen Terror-Angriff der Hamas in Israel empfanden: Mitgefühl für den Schmerz der Anderen, zunächst für den Schmerz der Israelis für ihre von Hamas-Terroristen abgeschlachteten Frauen, Kinder und Männer, später für den Schmerz der Palästinenser für ihre Kinder, die durch israelische Bombardements im Gazastreifen getötet wurden. Aber auch Angst, dass Griechenland in diesen Konflikt hineingezogen werden könne.
Fast drei Wochen nach dem verheerenden 7. Oktober sprechen sich 65,4 Prozent der Menschen in Griechenland für eine strikt neutrale Haltung ihres Landes in diesem Konflikt aus. Das ergab eine Umfrage des bekannten Meinungsforschungsinstitutes GPO. Demgegenüber vertreten 18,4 Prozent eine Haltung zugunsten Israels und 11,5 Prozent eine pro-palästinensische Haltung.
Die griechischen Bürgerinnen und Bürger scheinen die pro-israelische Haltung ihrer Regierung unter Premier Kyriakos Mitsotakis nicht zu übernehmen, aber sie scheinen sich auch nicht im pro-palästinensischen Ton der 1980er und 90er Jahre zu bewegen. Die Kommunistische Partei (KKE) und andere linke Gruppierungen organisierten in den vergangenen Tagen zwar einige pro-palästinensische Demonstrationen in Athen und anderen großen Städten, aber die Bereitschaft der Menschen mitzumarschieren, war begrenzt. Noch begrenzter war allerdings die Bereitschaft, auf die wenigen pro-israelischen Kundgebungen zu gehen.
An der Seite des „Freundes Bibi“
Ganz offensichtlich wünschen sich die Griechen eine friedliche Lösung des Konflikts und vor allem keine aktive Einmischung. Der Hintergrund: Falls die USA sich in diesen Krieg militärisch einmischen sollten, wäre Athen quasi mit dabei. Denn eine der wichtigsten US-Militärbasen im östlichen Mittelmeer liegt in Souda auf Kreta. Schon jetzt herrscht dort Hochbetrieb. Zudem hat die Regierung den US-Amerikanern den Militärflughafen von Elefsina im Westen der griechischen Hauptstadt für ihre Transportflugzeuge zur Verfügung gestellt.
Ohnehin stand die griechische Regierung von Anfang an auf der Seite Israels. Premierminister Kyriakos Mitsotakis hatte den „abscheulichen terroristischen Angriff gegen Israel“ klar und deutlich verurteilt. Er reiste am 23. Oktober nach Jerusalem, um an der Seite seines „Freundes Bibi“, des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu seine „grenzenlose Unterstützung“ für Israel und dessen Recht auf Selbstverteidigung zum Ausdruck zu bringen. Allerdings reiste er nicht weiter nach Ramallah, wie sonst bei griechischen Regierungschefs üblich, um sich auch mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zu treffen. Ein Versäumnis, das die größte Oppositionspartei des Landes, die linke Syriza, stark kritisierte.
Griechenland unterstützt Zwei-Staaten-Lösung
Gleichzeitig brachte Syriza ebenso wie auch die sozialdemokratische Pasok ihre Solidarität für die Bevölkerung Israels zum Ausdruck. Syriza sprach sich von Anfang an für einen Neubeginn von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern aus. Ziel müsse eine Lösung mit zwei Staaten auf Basis der Grenzen bis Juni 1967 sein. Ost-Jerusalem müsse die Hauptstadt des palästinensischen Staates werden. Pasok betonte, dass der Angriff auf Israel die „gerechten historischen Bemühungen des palästinensischen Volkes“ untergrabe. Auch die beiden rechtsextremen Parteien im Parlament, die Spartaner und die Griechische Lösung (EL), verurteilten die Terroranschläge der Hamas gegen Israel, allerdings wohl vor allem, weil die Türkei eine enge Beziehung zu Hamas pflegt – also nach dem Motto ‚Der Freund meines Feindes ist mein Feind‘.
Vor seiner Reise nach Jerusalem war Mitsotakis in seiner pro-israelischen Haltung zurückhaltender gewesen. In seiner Rede beim – gescheiterten – Friedensgipfel in Kairo am 21.10.2023 hatte er in Richtung Israel klipp und klar gesagt, dass das Kriegsrecht Kollektivstrafen verbiete. „Im Falle eines Krieges gibt es Grenzen für den Schaden, der anderen zugefügt werden kann“, meinte er und warnte davor, alle Palästinenser pauschal als Mitglieder oder Sympathisanten der Hamas zu bezeichnen.
Auch jetzt betont Mitsotakis bei jeder Gelegenheit, dass Griechenland die Zwei-Staaten-Lösung unterstütze. „Nur eine politische Lösung auf dieser Grundlage kann Frieden zwischen Israelis und Palästinensern und Stabilität in der Region garantieren“, lautet sein Credo.
Wirtschaft, Flüchtlinge und Terrorismus
Unterdessen bat der palästinensische Botschafter in Athen, Youssef Dorkhom, Griechenland, als traditionellen Freund der Palästinenser und mit guten Beziehungen zu Israel, „eine konstruktive Vermittlerrolle“ für den Frieden in der Region zu spielen. Ein Frieden, so Dorkhom, der ohne die Schaffung eines palästinensischen Staates nicht erreicht werden könne.
Eine solche Vermittlerrolle kann die griechische Regierung jedoch wohl kaum spielen, denn ihr Einfluss in dieser Krise ist begrenzt. Griechenlands Position lautet: Es erfüllt seine Verpflichtungen gegenüber der NATO und den USA und ist bereit, alle Möglichkeiten für die Evakuierung ausländischer Staatsangehöriger aus Gaza bereitzustellen.
Die größte Sorge in Athen ist die vor einer Destabilisierung der gesamten nahöstlichen Nachbarschaft. In einer Zeit, in der die griechische Regierung gerade das Ende der Schuldenkrise feiert, muss sie fürchten, dass der Krieg in Gaza den Ölpreis in unvorstellbare Höhen treiben und der Wirtschaft Europas und natürlich auch Griechenlands schaden könnte.
Zudem herrscht eine – wenn auch nur begrenzte – Besorgnis über die Möglichkeit eines Anstiegs der Flüchtlingszahlen. Premier Mitsotakis ist jedoch bisher davon überzeugt, dass der Gazastreifen geschlossen bleiben wird. Begrenzt ist auch die Besorgnis dass Griechenland, wie andere europäische Länder, zum Ziel von islamistischem Terrorismus wird. Die Behörden sind in Alarmbereitschaft, doch die Erfahrung zeigt, dass die meisten Terroranschläge sich dort ereignen, wo es eine radikalisierte zweite und dritte Generation muslimischer Einwanderer gibt. In Griechenland gibt es sie nicht.