Stichwahl dürfte Erdogans Zukunft besiegeln
In der Türkei entscheidet sich wohl erst in einer Stichwahl Ende Mai, ob Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine weitere Amtszeit antreten darf. Nach Stunden der Stimmenauszählung räumten Vertreter seines Lagers und der Opposition ein, keiner der Kandidaten werde in der ersten Runde über die erforderliche Marke von 50 Prozent kommen.
Erdogan zeigte sich schon bereit für eine Stichwahl gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. „Wir wissen noch nicht, ob die Wahl in der ersten Runde zu Ende sein wird, aber wenn die Menschen uns in eine zweite Runde schicken, werden wir das auch respektieren“, erklärte er in der Nacht zum Montag vor Anhängern in Ankara. Bis die vorläufigen Ergebnisse der Wahl vom Sonntag veröffentlicht würden, werde es aber noch einige Zeit dauern.
Agenturen: Erdogan vorn
Sowohl die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu als auch die oppositionsnahe Agentur Anka sahen Erdogan zuletzt vor Kilicdaroglu. So soll der Präsident etwa 49,5 Prozent der Stimmen erhalten haben, sein Rivale rund 45 Prozent. Der Rest entfiel auf andere Kandidaten.
Kilicdaroglu rief seine Anhänger dazu auf, bis zum Ende der Auszählung bei den Wahlurnen zu bleiben. „Verlasst die Urnen und die Wahlkommissionen niemals“, sagte der Chef der sozialdemokratischen Partei CHP in der Nacht in Ankara. „An den Urnen, an denen wir einen hohen Stimmanteil haben, blockieren sie das System mit aufeinanderfolgenden Einsprüchen“, betonte Kilicdaroglu mit Blick auf Erdogans islamisch-konservative Partei AKP. Diese warf der CHP ihrerseits Sabotage vor.
Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu bei einer nächtlichen Pressekonferenz
Ende einer Ära in Sicht?
Die Präsidentenwahl ist eine der wichtigsten in der Geschichte des NATO-Mitglieds mit seinen 85 Millionen Einwohnern, weil sie die zwei Jahrzehnte dauernde Regentschaft Erdogans beenden und einen grundlegenden Politikwechsel bedeuten könnte. Durch Verfassungsänderungen sicherte sich der 69-Jährige weitreichende Befugnisse. Erdogan hat zudem die meisten türkischen Institutionen fest im Griff und liberale Persönlichkeiten sowie Kritiker weitgehend ins Abseits gestellt. Er überstand zahlreiche Korruptionsskandale und 2016 einen Putschversuch.
Ergogan genießt vor allem die Loyalität frommer Türken, die sich einst in der säkularen Türkei entrechtet fühlten. Seine Popularität hat zuletzt aber gelitten, unter anderem wegen der hohen Inflation, die die Lebenshaltung für viele Türken drastisch verteuert.
Kilicdaroglu hat zugesagt, die Türkei auf einen neuen Kurs zu bringen, indem er nach Jahren staatlicher Unterdrückung die Demokratie wiederbeleben, zu einer klaren Wirtschaftspolitik zurückkehren und die brüchigen Beziehungen zum Westen wieder aufbauen wolle. Sollte der 74-Jährige gewinnen, könnten Tausende politische Gefangene freikommen.
Neben dem Präsidenten wurde am Sonntag auch das Parlament neu gewählt. Medienberichten zufolge setzte sich dabei Erdogans AKP im Bündnis mit anderen Parteien gegen die Opposition durch.