Tod eines Lokalpolitikers erhitzt die Gemüter im Libanon
Seit dem gewaltsamen Tod von Pascal Suleiman vor einigen Tagen ist die Stimmung im Libanon aufgeheizt. Der Lokalpolitiker gehörte der christlich-nationalistischen Partei „Libanesische Kräfte“ an. Am vergangenen Sonntag war Suleiman entführt und nahe Byblos, rund 40 Kilometer nördlich von Libanons Hauptstadt Beirut, getötet worden. Am Montag wurde seine Leiche auf der anderen Seite der Grenze in Syrien gefunden.
Libanesischen Behörden zufolge wurde Suleiman im Zuge eines Autodiebstahls ermordet, doch seine Partei vermutet politische Motive. In Teilen der Bevölkerung dagegen wird die Tat bereits syrischen Flüchtlingen zugeschrieben, die in großer Zahl im Land leben.
„Wir haben so große Angst“
Zahllose Videoaufnahmen in den sozialen Medien zeigen aufgebrachte Menschenmassen, die Syrer auffordern, ihre Geschäfte und Wohnungen zu verlassen und nach Syrien zurückzukehren. In anderen Videos ist zu sehen, wie Syrer verprügelt und Autos und Motorräder mit syrischen Nummernschildern zerstört werden.
„Wir haben das Haus seit zwei Tagen nicht verlassen, wir haben so große Angst“, erzählt Abu Mustafa, ein syrischer Flüchtling, der in Byblos lebt, der DW. „Ich weiß nicht, was ich für meine Familie tun kann. Ich traue mich nicht auf die Straße.“ „Wir haben nichts getan, warum schieben uns die Leute die Schuld zu?“, fragt der ebenfalls in Byblos lebende Abed.
Der libanesische Interims-Innenminister Bassam Mawlawi rief die Bevölkerung währenddessen dazu auf, „vernünftig“ zu bleiben und sich zurückzuhalten. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag erklärte er jedoch, dass die „syrische Präsenz im Libanon reduziert“ werden müsse. Wie er eine solche Reduzierung erreichen will, sagte er nicht.
Schätzungen der libanesischen Regierung zufolge leben derzeit etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge im Land. Viele von ihnen allerdings wurden nie offiziell registriert. Laut UNHCR, der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen, waren im Dezember vergangenen Jahres exakt 784.884 syrische Flüchtlinge im Libanon registriert.
Syrer als Sündenbock
„Statt bei Angriffen gegen syrische Geflüchtete zu ermitteln, lässt der Staat Lynchjustiz einfach so stehen“, klagt Anna Fleischer, Leiterin des Beiruter Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, im Gespräch mit der DW. Zwar sei dies nicht überall so, fügt sie hinzu, wohl aber „dort, wo syrische Geflüchtete besonders unbeliebt sind, wie in christlich dominierten Vierteln oder Städten wie Byblos.“
Im gesamten Libanon würden syrische Flüchtlinge zunehmend kriminalisiert. Es werde ihnen immer schwerer gemacht, legale Papiere und Aufenthaltsgenehmigungen zu bekommen, fügt Fleischer hinzu.
Mohanad Hage Ali ist stellvertretender Forschungsdirektor am Malcolm H. Kerr Carnegie Middle East Center in Beirut. Für ihn ist die nach Suleimans Tod gegen die Syrer gerichtete Wut eine „neue Welle der Panik, hervorgerufen durch die ungelöste syrische Flüchtlingskrise“. Unabhängig vom Ergebnis der laufenden Ermittlungen wird „der Umgang mit der Flüchtlingskrise kurz- und mittelfristig für die libanesische Politik Priorität haben“, ist er sich sicher.
Suleimans Ermordung wird politisiert
George Akouri, ein libanesischer Journalist in Beirut, sagte gegenüber DW, er schließe nicht aus, dass die Ermordung Suleimans politisiert werde. „Einerseits, um die Spannungen zwischen der Bevölkerung und den Syrern, insbesondere zwischen den Anhängern der libanesischen Streitkräfte und den syrischen Flüchtlingen im Libanon, zu verstärken. Und andererseits, um von den Ereignissen an der Grenze zu Israel abzulenken.“
„Die Libanesischen Kräfte stehen den syrischen Flüchtlingen feindselig gegenüber. Deren anhaltende Präsenz bedroht die Vormachtstellung der christlichen Parteien in der libanesischen Politik“, bestätigt Kelly Petillo, Nahost-Forscherin beim European Council on Foreign Relations, gegenüber der DW und fügt hinzu: „Für sie ist die Hisbollah der Volksfeind Nummer Eins.“
Der politische Arm der Hisbollah ist im libanesischen Parlament gut vertreten und betreibt zudem lokale Krankenhäuser und andere Einrichtungen zum Wohle ihrer Unterstützer. Die USA, die EU und andere Länder stufen den militärischen Arm der vom Iran unterstützen Miliz jedoch als Terrororganisation ein.
Besonders präsent ist die Hisbollah im Süden des Libanon. Am 8. Oktober startete sie von dort Angriffe auf den Norden Israels, einen Tag nach den tödlichen Angriffen der militant-islamistischen Hamas auf Israel, die zu dem aktuellen Krieg in Gaza führten. Seitdem kommt es im Grenzgebiet immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon und viele Libanesen fürchten, dass der Krieg auch ihr Land erfassen könnte.
Vorwürfe, die Hisbollah sei in die Ermordung Suleimans verwickelt, hat ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah als haltlos und als gefährliches sektiererisches Geschwätz zurückgewiesen.
Keine unabhängige Untersuchung von Suleimans Tod
Bisher haben die Behörden noch keine Ermittlungsergebnisse präsentiert. Eine Untersuchung soll aufklären, ob Pascal Suleiman Opfer einer syrischen Bande wurde, die sich auf Autoentführungen spezialisierte (sieben Syrer wurden bislang festgenommen und die Leiche wurde in Syrien gefunden), ob seine Ermordung politisch motiviert war, oder ob Suleimans Position als Leiter der IT-Abteilung einer der größten Banken des Landes, der Byblos Bank, etwas mit seinem Tod zu tun hatte.
Wegen der politischen und wirtschaftlichen Krise können Tausende von Bankkunden, viele davon Syrer, bereits seit Oktober 2019 nicht auf die Guthaben auf ihren Konten zugreifen. Der Präsidentenposten der Interims-Regierung ist zudem gegenwärtig nicht besetzt, die Regierung verfügt also nur über eingeschränkte Befugnisse.
Kelly Petillo hält es daher wegen des Chaos, in dem sich der Libanon politisch befindet, für „unwahrscheinlich, dass es zu einer unvoreingenommenen Untersuchung des Todes von Pascal Suleiman kommt. Vielmehr wird er die bereits bestehende Dynamik, die an sich schon sehr giftig ist, verstärken.“