Türkei: Abwärtssog der Lira setzt sich fort
„Lira auf neuem Rekordtief“ – so lauten die Nachrichten auch am Tag nach der Wiederwahl des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Damit setzt sich ein bereits seit langem anhaltender Trend fort. Seit Jahresbeginn liegt der Rückgang des Wertes der Lira gegenüber der Weltleitwährung Dollar bei rund sechs Prozent. Und in den vergangenen fünf Jahren der Amtszeit des Präsidenten ist die Lira um 80 Prozent in den Keller gerauscht.
Die Folge: Eine grassierende Inflation. Die Türkei muss viele Waren und Rohstoffe importieren, was durch die schwindsüchtige Währung immer teurer wird. Im vergangenen Jahr kletterte die Preissteigerung in der Türkei offiziell auf 85 Prozent, aktuell liegt sie nach offiziellen Daten bei rund 44 Prozent. Allerdings gehen Beobachter von noch höheren Werten aus.
Vor allem ärmere Haushalte leiden unter den steigenden Preisen, weil sie einen Großteil ihrer bescheidenen Einkünfte für Dinge des täglichen Bedarfs ausgeben müssen. Einer im vergangenen Jahr veröffentlichten Studie einer türkischen Gewerkschaft zu Folge hatten sich die Lebensmittelpreise innerhalb eines Jahres fast verdreifacht, bei Gemüse lagen die Steigerungen noch um einiges höher.
Unabhängigkeit der türkischen Notenbank untergraben
„Mit zunehmender politischer Unsicherheit und der Einführung eines absoluten Präsidialsystems ab 2018 ist die Türkei in eine schwere wirtschaftliche Abwärtsspirale geraten“, fasst Professor Erdal Yalcin vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) die Entwicklung zusammen. Mit Schuld ist auch die „unorthodoxe“ Wirtschafts- und Geldpolitik Erdogans.
Denn gewöhnlich begegnen Notenbanken einer überschießenden Inflation mit steigenden Zinsen. Damit verteuern sich Kredite und Investitionen, Wirtschaft und Nachfrage kühlen ab und die Preise fallen wieder. Nur hat Erdogan das durch Interventionen bei der türkischen Zentralbank verhindert und sie dazu verdonnert, die Zinsen trotz hoher Inflation noch weiter abzusenken. Das ist nicht nur unorthodox und widerspricht der gängigen ökonomischen Lehre; es hat auch Vertrauen gekostet, weil es eine unabhängig agierende Notenbank in der Türkei nicht mehr gibt.
Das Argument des Präsidenten, dadurch hätten die Unternehmen mehr Freiraum für Investitionen, was wiederum der türkischen Wirtschaft helfen würde. „Der Kern des ganzen Problems ist, dass Erdogan weiter dem Gedanken nachhängt, mit niedrigen Zinsen die Inflation nach unten bringen zu können“, sagte Janis Hübner gegenüber DW. Er ist Volkswirt bei der Deka Bank und auf Schwellenländer wie die Türkei spezialisiert. „Und da er weiterhin die Kontrolle über die Zentralbank ausüben wird, müssen wir davon ausgehen, dass auch das Vertrauen in die Lira nicht zurückkehrt und die Inflationserwartungen hoch bleiben“.
Die unorthodoxe Herangehensweise der Wirtschaftspolitik der Regierung Erdogan beinhaltet auch das Anhäufen von Schulden. Nach Daten des Internationalem Währungsfonds (IWF) hat sich die Staatsverschuldung der Türkei in den vergangenen fünf Jahren seiner Präsidentschaft mehr als vervierfacht. Für die Finanzierung dieser steigenden Staatsschulden wären Zinsanhebungen Gift.
Wirtschaft der Türkei hatte Pandemie gut überstanden
Dabei schneidet die Türkei in Sachen Wirtschaftswachstum vergleichsweise gut ab: Nach der Corona-Pandemie lag das Wachstum 2021 bei rund elf Prozent, im vergangenen Jahr 2022 immerhin noch bei drei Prozent – trotz der Folgen des Ukraine-Krieges und steigender Energiekosten. So läuft etwa der Tourismus nach dem Ende der Corona-Reisebeschränkungen wieder auf Hochtouren.
Getrübt wurde die wirtschaftliche Lage der Türkei durch das Erdbeben im Süden des Landes im Februar, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen. Drei Millionen Menschen wurden durch die Katastrophe vertrieben.
Ein weiteres Problem: Auf Grund der hohen Unsicherheit über die politische und wirtschaftliche Lage fließen kaum Direktinvestitionen – etwa aus der EU – in das Land. Das Außenhandelsdefizit hat sich vergrößert und die Devisenreserven der Zentralbank sind abgeschmolzen. In der Woche vor den Wahlen erreichten die Nettoreserven der türkischen Notenbank den niedrigsten Stand seit 2002.
Hilfe aus Golfregion und Russland
Schützenhilfe hat das Land dabei offenbar von Staaten der Golfregion bekommen. „Unsere Wirtschaft sowie das Banken- und Finanzsystem sind ziemlich stark. Einstweilen haben einige Golfstaaten Geld in unser System gesteckt – auch wenn es nur für eine kurze Zeit ist“, sagte Erdogan nach in einem Interview mit dem Sender CNN Türkei. Daher wolle er sich nach der Wahl bei den Geldgebern bedanken, auch indem er zuerst diese Partnerländer ansteuern werde, statt die traditionelle Antrittsreise zuerst über Länder wie Nordzypern oder Aserbaidschan zu nehmen.
Dankbar dürfte die Regierung in Ankara auch gegenüber Russland sein. Denn das Land hat von Moskau einen Kreditaufschub in Höhe von 24 Milliarden US-Dollar und einen Rabatt auf Gasexporte bekommen. Dazu kommen 20 Milliarden US-Dollar in Form einer Projektfinanzierung für den Bau eines Atomkraftwerks im Süden der Türkei.