Ukraine: Kriegsmüdigkeit bei Unterstützern wächst
Man wolle die Ukraine „so lange wie nötig“ unterstützen. Das hat US-Präsident Joe Biden gesagt. So steht es auch im Abschlusskommuniqué des jüngsten NATO-Gipfels. Und das ist ebenso die Zusage des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz.
Aber vor allem in den USA, dem mit Abstand wichtigsten Unterstützer der Ukraine, ist die weitere Hilfe inzwischen fraglicher denn je. Die bisher vom US-Kongress bewilligten Mittel für die Ukraine werden nach Angaben des Weißen Hauses zum Jahresende aufgebraucht sein. Die Freigabe neuer Hilfen wird aber von den Republikanern im Kongress blockiert. Mehr und mehr von ihnen melden Zweifel an der Unterstützung für Kiew an oder lehnen sie ganz ab.
In einem dramatischen Appell warnte Andrij Jermak, der Chef des Kiewer Präsidialamtes, dass die Ukraine ohne US-Hilfe den Krieg gegen Russland verlieren werde.
Biden sagte, Hilfen für die Ukraine seien „in unserem überwältigenden nationalen Interesse und im internationalen Interesse aller unserer Freunde“. Falle die Ukraine, werde Russlands Präsident Wladimir Putin weitere Staaten angreifen. Seien es NATO-Staaten, würde das zu etwas führen, „das wir nicht anstreben und das wir heute nicht haben: amerikanische Truppen, die gegen russische Truppen kämpfen“.
Die Unterstützung bröckelt auch in Europa
Auch in Europa bröckelt die Solidarität mit der Ukraine. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban will beim kommenden EU-Gipfel Mitte Dezember sein Veto sowohl gegen weitere 50 Milliarden Euro für Kiew als auch gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen einlegen. Orban pflegt weiter Kontakt zu Putin und versucht immer wieder, EU-Sanktionen gegen Russland zu verhindern.
Die polnische Regierung drohte aus Ärger über billige ukrainische Getreideimporte zeitweilig mit einer Einschränkung der Waffenhilfe. Und in der Slowakei stoppte der Linkspopulist Robert Fico nach seinem Wahlsieg im September die Militärhilfe für die Ukraine. Sanktionen gegen Russland lehnt Fico ebenso ab wie einen späteren NATO-Beitritt der Ukraine.
Für den Westen insgesamt konstatierte der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter gegenüber der DW bereits im Oktober: „Die Unterstützung für die Ukraine hat bereits nachgelassen, der Zusammenhalt bröckelt, die Stimmen werden lauter, die einen ‚Diktatfrieden‘ fordern.“ Roman Goncharenko von der Ukrainischen Redaktion der Deutsche Welle sagte kürzlich in der DW-Sendung „Auf den Punkt“: „In der Ukraine gibt es Ernüchterung, dass der Westen müde geworden ist.“
Ist ein militärischer Sieg der Ukraine möglich?
Dazu kommt, dass die Ukraine trotz westlicher Waffenhilfe zwar immer wieder begrenzte militärische Erfolge bei ihrer Gegenoffensive vermelden kann, ein Durchbruch aber bisher ausgeblieben ist.
Das ukrainische Militärportal „Deep State“ stellte ernüchtert fest: „Der Sommer hat gezeigt, dass der Krieg im Jahr 2024 nicht zu unseren Bedingungen enden wird.“ „Unsere Bedingungen“, das wäre eine vollständige Rückeroberung aller besetzten Gebiete einschließlich der Krim.
Immer wieder hat der ukrainische Präsident Selenskyj mehr westliche Waffen wie Kampfflugzeuge gefordert. Von Deutschland will er jetzt vor allem Marschflugkörper vom Typ Taurus. Bundeskanzler Scholz hat zwar längst Kampfpanzer in die Ukraine geschickt, eine Lieferung der Taurus lehnt er aber ab.
Das ständige Zögern ist aber genau das Problem, glaubt Kiesewetter: „Die Befreiungsoffensive wird vom Westen selbst behindert, weil zu wenig und zu spät geliefert wird.“
Russland hofft offenbar auf Wahlsieger Trump in den USA
Die Meinungen, ob massive Waffenlieferungen über den Ausgang des Krieges entscheiden, gehen in der Diskussion in Deutschland weit auseinander. Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle sagt über Taurus: „Natürlich machen solche Waffen einen Unterschied (…), aber eine Veränderung der strategischen Konstellation erwarte ich daraus nicht.“ Russland habe einen langen Atem in diesem Abnutzungskrieg und könne die Ukraine massiv unter Druck setzen.
Kiesewetter auf der anderen Seite meint: „Luftüberlegenheit und Präzisionsabstandswaffen wie Taurus in der ausreichenden Menge könnten die Wende bringen.“
Offenbar spiele der Kreml auf Zeit und hoffe auf einen erneuten Wahlsieg des Republikaners Donald Trump 2024 bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen und ein Ende der US-Unterstützung für die Ukraine. Dass dann die Europäer einspringen, „das ist schlichtweg von der Größenordnung nicht möglich“, sagt Varwick, weil die USA mit großem Abstand der wichtigste Waffenlieferant seien. „Wenn die US-Amerikaner ihre Unterstützung einstellen oder massiv reduzieren, dann hat die Ukraine ein Problem, das nicht durch Europäer aufgefangen werden kann.“
Die Ukraine lehnt Land gegen Frieden ab
Die Kriegsmüdigkeit im Westen setzt deren Politiker unter Druck, auf dem Verhandlungsweg einen Ausgang des Krieges zu suchen. Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick hält das ohnehin für unumgänglich. Dabei müsse auch „über territoriale Veränderungen in der Ukraine, über Neutralität der Ukraine“ verhandelt werden.
Eine Lösung nach der Formel „Land gegen Frieden“ hätte nach den Worten von Roman Goncharenko von der Deutschen Welle jedoch keine Chance, in der Ukraine akzeptiert zu werden: „Zu viel ist passiert, zu groß das Leid. Das wäre eine Belohnung für Russland.“
CDU-Politiker Roderich Kiesewetter glaubt weiter an einen militärischen Sieg der Ukraine durch westliche Waffen, daher müsse die Strategie sein: „Alles liefern, so schnell wie möglich. (…) Das Zögern kostet Leben und es erhöht die Gefahr, dass Russland gewinnt und die Ukraine zerfällt. Das ist auch unsere Mitverantwortung.“