Ukraine: Zerstört Sumy alle Hoffnungen auf Frieden?
Im Ukrainekrieg stehen die Zeichen auf Eskalation. Nach dem russischen Raketenangriff auf die ukrainische Stadt Sumy wird die Suche nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner für Waffenstillstands- oder Friedensverhandlungen immer schwieriger.
„Russland führt einen gezielten Krieg gegen die Zivilbevölkerung“, erklärt Wilfried Jilge, Osteuropahistoriker und Ukraineexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) im DW-Gespräch.
„Sumy ist ein neuer Höhepunkt, aber nicht der erste. Ich glaube, wir haben immer noch nicht begriffen, wie brutal dieses Regime nach innen und außen ist.“
Es sei auch nicht das erste Mal, dass Russland unter Vorgabe falscher Tatsachen zivile Ziele angreife, so Jilge. So erklärte das russische Verteidigungsministerium gegenüber Medien am Montag, der Angriff in Sumy habe nur militärischen Zielen gegolten.
Die Iskander-Raketen hätten ein Treffen von ukrainischen Militärbefehlshabern getroffen. 60 ukrainische Soldaten seien gestorben. Die Ukraine würde Zivilisten als menschliche Schutzschilder missbrauchen.
Trump: „Das ist nicht mein Krieg“
Das ukrainische Verteidigungsministerium stellte in einem Statement klar, die russischen Raketen hätten 34 Menschen getötet und 119 Menschen verletzt. Unter den Todesopfern befänden sich auch zwei Kinder.
Der ukrainische Präsident Selenskyj bat US-Präsident Trump, die Ukraine zu besuchen, um sich ein Bild von der Grausamkeit des Krieges zu verschaffen.
Trump jedoch erklärte gegenüber der Presse:
„Das ist Bidens Krieg, nicht meiner“. Auf die Frage, ob der russische Angriff unbeabsichtigt gewesen sein könnte, erklärte er: „Das müssen Sie Russland selbst fragen. Mir wurde gesagt, dass sie einen Fehler gemacht haben“.

Kreml: „Taurus-Lieferung ist weitere Eskalation“
Diamentral entgegengesetzt sind auch die Positionen von Deutschland und Russland. So stellte Friedrich Merz, designierter Bundeskanzler, in einem TV-Interview die Lieferung von „Taurus“-Marschflugkörpern an die Ukraine in Aussicht.
Der Kreml reagierte umgehend und erklärte, eine „deutsche Taurus-Lieferung an die Ukraine wäre eine weitere Eskalation“. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte, andere europäische Länder verfolgten einen ähnlichen Ansatz. Dies trage dazu bei, den Krieg zu verlängern.
Gegenseitige Schuldzuweisungen
Dabei schien die Hoffnung auf einen Waffenstillstand nach über drei Jahren Krieg vor einem Monat greifbar nah. Denn bei einem zweistündigen Telefonat am 18. März hatten sich Putin und Trump auf ein 30-tägiges Moratorium für Angriffe auf die Energieinfrastruktur in beiden Ländern geeinigt.

Doch bereits während des Moratoriums warfen sich sowohl Russland als auch die Ukraine gegenseitig vor, die Vereinbarung zu verletzen. Die genauen Umstände und die Authentizität der Behauptungen konnten allerdings von unabhängigen Quellen nicht bestätigt werden.
USA setzen Sanktionen nicht aus
Für Jilge steckt hinter diesen Minimalvereinbarungen eine Strategie: „Russland hat überhaupt keine Eile“, sagt der Experte. „Der Kreml spekuliert auf die Spaltung des Westens, und sieht die Möglichkeit, dass die Amerikaner sich aus Europa zurückziehen und die Hilfe für die Ukraine immer weiter einschränken.“
Ein „kleiner Lichtblick“ sei immerhin die Verlängerung der US-Sanktionen gegen Russland. Die ursprünglich von US-Präsident Joe Biden im April 2021 verhängten Sanktionen gegen Russland wurden von Donald Trump am 10. April 2025 für ein weiteres Jahr verlängert. Die Regelung tritt am 15. April in Kraft.
Jilge sieht jetzt Europa am Zug. Nicht nur bei den Sanktionen gebe es noch viel Luft nach oben. Europa könne die Ukraine auch schon jetzt in die Verteidigung des Kontinents einbeziehen.
Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas will genau das tun. Beim EU-Außenministertreffen in Luxemburg kündigte sie am Montag ein weiteres Paket mit neuen, schärferen Sanktionen gegen Russland an.
Außerdem werde es mehr Waffenlieferungen für die Ukraine geben. „Es ist klar, dass wir die Ukraine stärker unterstützen müssen“, erklärte sie auf X.
So werde die EU der Ukraine in diesem Jahr zwei Millionen Geschosse für schwere Artillerie zur Verfügung zu stellen. Dies sei Teil einer umfassenderen militärischen Unterstützungsinitiative im Wert von fünf Milliarden Euro.
Investitionen in die Rüstungsindustrie der Ukraine
„Ein Ausweg ist, massiv in die ukrainische Rüstungsindustrie zu investieren, damit sie ihre eigenen Kapazitäten hochfahren kann“, erklärt Experte Jilge. „Ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, dass die Ukraine nicht nur eine Belastung ist, sondern auch eine Stütze für Europa sein kann.“
Seit der russischen Invasion im Februar 2022 hat die Ukraine nach eigenen Angaben ihre Waffenproduktion massiv gesteigert. Das Land produziert mittlerweile 50 Prozent ihrer im Kampf eingesetzten Munition selbst, darunter die Radhaubitze Bohdana, Drohnen und umgerüstete Flugabwehrsysteme.

Lawrow: „Sie rotten alles Russische aus“
Für Russlands Außenminister Lawrow kann es nur zu einem dauerhaften Frieden kommen, wenn die „Ursachen des Konfliktes“ beseitig werden. Auf dem internationalen Diplomatenforum in Antalya vom 11. bis 13. April erklärte er, dass zu den Ursachen unter anderem der „mangelnde Respekt für russische Minderheiten in der Ukraine“
zähle.
Für Russland gehe es darum, zu „100 Prozent sicherzustellen“, dass die in der UN-Charta festgelegten Minderheitsrechte von Menschen, die dort seit Jahrhunderten lebten, respektiert würden.
„Sie rotten alles Russische auf dem Gebiet der ehemaligen Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik aus. Die russische Sprache und die ukrainisch-orthodoxe Kirche wurden verboten“, sagte Lawrow.
Lawrow ließ nur eine Hintertür für Verhandlungen offen: USA. „Als sich die ukrainische und die amerikanische Delegation am 24. März in Riad auf ein Papier zugunsten eines 30-tägigen Waffenstillstands einigten“, erklärte er in Antalya, „geschah dies vor dem Hintergrund, dass die Amerikaner sagten, keine NATO und keine Diskussion über den Status der Territorien“.
„Trump will den Krieg loswerden“
Ob und wie die Verhandlungen zwischen den USA und Russland weitergehen, ist zurzeit noch nicht absehbar. US-Präsident Trump kündigte am Montag an, dass „bald gute Vorschläge für die Beendigung des Krieges in der Ukraine vorliegen“ würden.
„Trump will diesen Krieg loswerden und einen schnellen Frieden“, weiß Wilfried Jilge. Allerdings mehrten sich auch die kritischen Stimmen in den USA zum Umgang mit Russland.
Die Sprache von Außenminister Marco Rubio und dem US-Ukraine-Sondergesandten Keith Kellogg, so Jilge, unterscheide sich deutlich von den Äußerungen des Präsidenten.
In seinem Post auf X fand Keith Kellogg, US-General im Ruhestand, klare Worte: „Der Palmsonntagsangriff der russischen Streitkräfte auf zivile Ziele in Sumy überschreitet jede Grenze des Anstands. Es gibt zahlreiche tote und verwundete Zivilisten. Als ehemaliger militärischer Führer verstehe ich etwas von gezielten Angriffen. Und dieser Angriff war falsch. Aus diesem Grund arbeitet Präsident Trump hart daran, diesen Krieg zu beenden“.