Waffen für die Ukraine: Stresstest für transatlantische Beziehungen
Am 2. Februar grüßte in den USA wieder einmal das Murmeltier – in einigen Orten wurde das Tier traditionell zum weiteren Winterwetter befragt. Weltweit bekannt wurde diese Tradition 1993 durch die Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“, in der ein Wetter-Moderator in einer Zeitschleife festhängt.
Ähnlich kommt man sich vor, wenn man einen Blick auf die Unterstützung des Westens für die Ukraine wirft: irgendwie alles schon einmal erlebt. Lieferung von schweren Waffen? Nein, nach einigen Wochen aber doch. Moderne Flugabwehr? Auf keinen Fall, geht schließlich aber auch. Und jetzt gepanzerte Fahrzeuge der Spitzenklasse? Ein No-go, seit diesen Tagen aber doch kein Problem.
Das gemeinsame Vorgehen der NATO-Partner hat viel mit dem Mann zu tun, der seit zwei Jahren in Washington regiert: Joe Biden. Nach den chaotischen Jahren seines Vorgängers Donald Trump, dessen Strategie sich weitgehend auf Schuldzuweisungen beschränkte, wählt der 46. Präsident der USA gegenüber den europäischen Verbündeten den erfolgreicheren Ansatz „Zuckerbrot statt Peitsche“. Vor allem gegenüber Deutschland bewies Washington immer wieder Geduld und lobte Berlin häufig für seine Politik.
„Irritationen in Washington“
Das sei auch ein Versuch, Deutschland die diplomatische „Deckung“ zu geben, die es braucht, um unbequeme politische Entscheidungen zu treffen, so Thomas Kleine-Brockhoff vom German Marshall Fund, gegenüber der DW.
Kürzlich pries Biden Bundeskanzler Olaf Scholz öffentlich für sein „unerschütterliches Engagement“ für die Ukraine und dafür, dass Deutschland „einen Schritt weiter gegangen“ sei. Hinter verschlossenen Türen jedoch, so Kleine-Brockhoff, habe die Debatte über die Frage der Kampfpanzerlieferungen einen anderen Ton angenommen. „Der deutsche Kanzler hat Druck auf die USA ausgeübt und gesagt: ‚Ich werde nicht vor euch einlenken'“, erklärt Kleine-Brockhoff. „Das hat in Washington zu Irritationen geführt“, vor allem, weil die USA Deutschland nicht bedrängt hätten.
Biden bestritt zwar, dass er durch den Druck von Scholz gezwungen worden sei, seine Meinung über die Entsendung von Abrams-Panzern zu ändern. Doch politische Entscheidungsträger in Washington hätten erkannt, „wie sehr die Deutschen eigentlich folgen und nicht führen wollen“, sagt Kleine-Brockhoff.
„Zeitenwende“ auch in den transatlantischen Beziehungen
Dabei hatten die USA mit sehr viel Wohlwollen registriert, dass Olaf Scholz kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine im Bundestag die „Zeitenwende“ ausgerufen hatte – mit einer deutlichen Erhöhung der Militärausgaben und einer robusteren Sicherheitspolitik Deutschlands. „Es bedurfte eines Krieges, damit die Deutschen ihren Kurs ändern“, so Kleine-Brockhoff, um die seit langem schwelenden „Irritationen“ in den transatlantischen Beziehungen zu beseitigen.
Die USA hatten sich zuvor über Deutschlands Widerstand gegen höhere Militärausgaben geärgert, also die NATO-Vorgabe einzuhalten, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Washington übte außerdem deutliche Kritik an den deutschen Nord-Stream-Gasprojekten mit Russland. Deutschland seinerseits war verstimmt darüber, dass ein Verbündeter angesichts dieses Energieabkommens offen mit Sanktionen drohte. Diese Themen sind seither vom Tisch.
Unterschiedliche Interessen in der Ukraine
Dabei haben Berlin und Washington unterschiedliche Interessen: Während Deutschland den Krieg in der Ukraine als eine Frage der regionalen Sicherheit betrachtet, ist die Ukraine für die USA nur eine Figur in einem verworrenen geopolitischen Schachspiel. Ein schwächeres Russland könnte für die Interessen der USA in anderen Regionen zum Beispiel von Vorteil sein.
„In Deutschland denkt dagegen fast niemand in solchen Kategorien“, sagt James Davis, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen, der DW. Es fehle die intellektuelle Schlagkraft für solche Szenarien.
Die USA sind darauf angewiesen, dass Deutschland einen größeren Teil der Verteidigungslast Europas übernimmt, damit die Vereinigten Staaten wiederum mehr Ressourcen für den Konflikt mit China im Pazifik einsetzen können. Gleichzeitig will man Deutschland wissen lassen, dass es auf die Unterstützung der USA in Europa zählen kann. Die Uhr von Joe Biden im Weißen Haus tickt: die Mehrheit der Republikaner im Repräsentantenhaus erinnert ihn täglich daran, dass diese Außenpolitik in zwei Jahren schon Makulatur sein könnte.
Kritik an der außenpolitischen Zurückhaltung Deutschlands
Zwar ist das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland unter Präsident Biden und Kanzler Scholz viel besser als zuvor, aber die deutsche Zurückhaltung in außenpolitischen Fragen sei in den vergangenen Jahren weitgehend gleich geblieben, so Davis. „Es gibt immer noch diese Frustration, diese Art von Spannung in den transatlantischen Beziehungen, aber dieses Mal liegt es daran, dass die Deutschen sagen: ‚Nur mit euch‘.“
Die Erwartung Deutschlands an die USA sei immer noch die gleiche wie in Zeiten des Kalten Krieges: die Vereinigten Staaten seien das Land, das die Führung übernehmen müsse, wenn es hart auf hart kommt. Politikwissenschaftler James Davis sagt zum deutschen Unbehagen, militärische Verantwortung zu übernehmen: „Sie hatten ziemlich lange Zeit, um in die neue Rolle hineinzuwachsen. Das erinnert mich an 30-Jährige, die nicht aus dem Haus ihrer Eltern ausziehen wollen.“