31. Oktober 2024

Was der Ausgang der US-Wahl für Deutschland bedeuten könnte

Von Admins

Als Joe Biden 2020 die US-Präsidentschaftswahl gegen den Amtsinhaber Donald Trump gewann, ging in Berlin ein großes Aufatmen durch die Reihen: Im Gegensatz zu Trump galt Biden als Transatlantiker der alten Schule, während Trump in Berlin als großer Unsicherheits- und Störfaktor erlebt wurde.

Jetzt will der Republikaner Trump erneut Präsident werden, während Bidens Vizepräsidentin Kamala Harris für die Demokraten antritt. Sie ist ganz klar die Wunschkandidatin der Bundesregierung, die sich von ihr eine Fortsetzung enger transatlantischer Beziehungen und des Multilateralismus erhofft.

Aber auch eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist für Harris. Zwei Drittel der Anfang Oktober vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos befragten Deutschen wünschen sich Kamala Harris als Präsidentin, nur 12 Prozent sind für Donald Trump. Noch extremer war das Ergebnis einer Frage im ARD-Deutschlandtrend von Anfang Oktober, welcher Kandidat mehr überzeuge: 78 gegen 8 Prozent für Kamala Harris.

Was sind nun die wichtigsten Bereiche, in denen der Ausgang der Wahl für Deutschland besonders relevant ist?

Ukraine

Eine der drängendsten Fragen für die Bundesregierung lautet: Was wird aus der Unterstützung der Ukraine? Immerhin sind die USA der mit Abstand wichtigste Waffenlieferant und Geldgeber der Ukraine, dahinter kommt Deutschland.

Kamala Harris hat nie einen Zweifel an der weiteren Unterstützung der Ukraine gelassen. Angesichts des russischen Angriffskrieges würden die USA „fest an der Seite der Ukraine und unserer Nato-Verbündeten“ stehen und das „so lange wie nötig“ – so hat es auch Bundeskanzler Olaf Scholz immer wieder formuliert.

Frau legt einem Mann die Hand auf die Schulter, hinter ihnen eine ukrainische und eine amerikanische Flagge
Kamala Harris würde die Ukraine-Unterstützung der amtierenden Biden-Regierung fortsetzen und hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Hilfe „so lange wie nötig“ zugesagtBild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Donald Trump will dagegen ein schnelles Ende des Krieges herbeiführen, was vermutlich bedeuten würde, dass die Ukraine zur Aufgabe großer Teile der von Russland besetzten Gebiete gezwungen würde.

Doch wie die amerikanische Ukraine-Politik unter Trump aussehen würde, „das wissen wir nicht“, sagt der Sicherheitsexperte Nico Lange der DW. „Man kann nicht sagen, wenn Donald Trump gewinnt, dann verkauft er die Ukraine. Das besondere an Donald Trump ist ja, dass es nicht so richtig vorhersagbar ist.“

Soldaten laden eine Haubitze im Pulverdampf
Amerikanische Haubitze im Einsatz in der Ukraine: Sicherheitsexperte Nico Lange hält die Biden-Harris-Administration für zu zögerlich bei der Ausrüstung der ukrainischen Armee mit WaffenBild: AP Photo/Efrem Lukatsky/picture alliance

Lange sieht bei der Ukraine-Hilfe auch die Regierung Biden kritisch, die zu langsam und zu zögerlich gewesen sei: „Ich hoffe, dass sich Harris positiv davon absetzen wird und dass sie nicht in so einem gedanklichen Gefängnis feststeckt, wie man das bei der Biden-Administration zuletzt den Eindruck hatte in Bezug auf Präzisionswaffen mit hohen Reichweiten, in Bezug auf eine Einladung der Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft. Denn man wird diese Dinge brauchen, um das Problem wirklich zu lösen, und es wäre schade, wenn Harris das nicht schafft, sich da abzusetzen.“

NATO/Internationale Sicherheit

Die Vizepräsidentin hat sich als starke Befürworterin der multilateralen Zusammenarbeit und der NATO geäußert. „Es ist klar, dass sich Amerika in diesen unsicheren Zeiten nicht zurückziehen kann“, hat sie gesagt. Die globalen Allianzen der USA will sie nicht gefährden.

Trump dagegen hat wiederholt den Sinn der NATO an sich infrage gestellt. Vor allem fordert er von den Verbündeten, mehr Geld für ihre eigene Verteidigung auszugeben – und stellt dabei sogar den NATO-Beistandspakt zur Disposition. Er drohte während seiner Präsidentschaft 2017-21 zeitweilig mit einem Abzug der US-Soldaten aus Deutschland.

Eine Gruppe von Menschen, zwei zeigen mit dem Finger in eine Richtung
Wo geht’s lang? Verwirrung bei einem NATO-Gipfel 2019 während Trumps damaliger Präsidentschaft. In der Mitte von links der frühere NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und Donald TrumpBild: Francisco Seco/AP Photo/picture alliance

Nico Lange warnt auch in diesem Punkt vor Schwarzweißmalerei: „Wenn man nicht nur die Ukraine anguckt, sondern europäische Sicherheit insgesamt, dann gibt’s natürlich Grund zur Annahme, dass es für die Europäer etwas einfacher und berechenbarer zugehen würde, wenn Harris die Präsidentschaft gewinnt. Man muss aber sagen, dass die Notwendigkeit, dass die Europäer für ihre eigene Sicherheit mehr tun, in beiden Fällen gegeben ist und dass man da auch nicht drum herumkommt.“

Wirtschaft/Handel

Die USA sind einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Jede wirtschaftspolitische Entscheidung in Washington wirkt sich unmittelbar auf die deutsche Wirtschaft aus.

Trump hat im Falle eines Wahlsiegs einen Zoll von 60 Prozent auf US-Importe aus China und von 20 Prozent auf Importe aus der restlichen Welt angekündigt. Das würde deutsche Produkte in den USA deutlich teurer machen. Besonders betroffen wären Auto- und Pharmaindustrie.

Entsprechend haben viele deutsche Industrieunternehmen Sorge vor einem Trump-Sieg. In einer Befragung des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo rund zwei Wochen vor der Wahl befürchteten 44 Prozent der befragten Unternehmen negative Auswirkungen im Falle einer Trump-Präsidentschaft. Positive Effekte erhofften sich nur 5 Prozent, während 51 Prozent keinen Unterschied erwarten. Allein durch die von Trump angekündigten Zölle würden die deutschen Exporte in die USA um knapp 15 Prozent sinken, prognostiziert eine frühere Ifo-Studie.

Denkbar bei Zollschranken wären auch indirekte Folgen für Deutschland, befürchtet Andreas Baur vom Ifo-Institut: „Man kann natürlich davon ausgehen, dass die Handelspartner, dass China darauf reagieren“, sagt Baur der DW, „und das ist vielleicht die größte Sorge, dass wir da in eine Eskalationsspirale reinkommen, in der es dann zu einem Handelskrieg auf globaler Ebene kommt“.

Männer am Fließband einer Autofabrik
VW-Werk in Chattanooga, Tennessee: Deutsche Werke in den USA sind von Zöllen befreit, für Auto-Exporte aus Deutschland selbst würde es bei einem Trump-Sieg voraussichtlich deutlich schwierigerBild: Erik Schelzig/AP Photo/picture alliance

Doch egal, wer am 5. November die Nase vorn hat, die Wirtschaft in Deutschland erwartet keine Liberalisierung der US-Handelspolitik. Beide Kandidaten „setzen auf die Stärkung der heimischen Industrie und möchten Arbeitsplätze im Verarbeitenden Gewerbe ins Land zurückholen“, erklärte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, kürzlich.

Andreas Baur vom Ifo-Institut bestätigt das: „Natürlich gibt es Kontinuitäten von Trump zu Biden, und das betrifft vor allem die Handelspolitik mit Blick auf China. Biden hat die hohen Zölle, die Trump auf die chinesischen Importe gelegt hat, alle beibehalten, hat erst vor kurzem die Zölle erhöht auf chinesische E-Autos beispielsweise auf über 100 Prozent. Der große Unterschied zwischen Trump und Harris ist der Blick auf Verbündete. Die Rhetorik bei Trump ist klar: Es geht um die USA gegen den Rest. Bei einer zukünftigen Harris-Regierung ist zumindest mein Eindruck, dass ihnen bewusst ist, die Vereinigten Staaten brauchen Verbündete.“

Klimaschutz/Energie

Kamala Harris sieht im Klimawandel eine „existenzielle Bedrohung“ für die Menschheit. Als Vizepräsidentin unterstützt sie den 2022 verabschiedeten Inflation Reduction Act, das milliardenschwere Klimaschutz- und Sozialpaket der Biden-Regierung.

Windräder in einer wüstenartigen Landschaft
Windräder in Wyoming: Durch gezielte Förderung der Regierung Biden nehmen die erneuerbaren Energien auch in den USA einen AufschwungBild: Alan Rogers/AP Images/picture alliance

Bei einem Wahlsieg Trumps wäre dagegen mit einer Abkehr vom Klimaschutz in den USA selbst und von internationalen Klimaschutzabkommen zu rechnen. Die Bundesregierung, der der Klimaschutz ein besonderes Anliegen ist, hätte es damit noch schwerer, international verbindliche Regeln zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes durchzusetzen.

Im Wahlkampf zog Trump auch über die deutsche Energiepolitik her und behauptete, Deutschland sei nach einem gescheiterten Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wieder dazu übergegangen, Kohlekraftwerke zu bauen, „jede Woche ein Kohlekraftwerk“ – was völlig aus der Luft gegriffen war.

Trump hatte sich bereits in der Vergangenheit mehrfach ähnlich geäußert, unter anderem beim TV-Duell gegen Harris. Daraufhin hatte das Auswärtige Amt auf der Plattform X reagiert: „Ob es Ihnen gefällt oder nicht: Das deutsche Energiesystem ist voll funktionsfähig, mit mehr als 50 Prozent erneuerbarer Energien.“ Man schalte Kohle- und Atomkraftwerke ab, statt welche zu bauen. „Spätestens 2038 wird die Kohle vom Netz sein.“

Mitte Oktober, kurz vor der Wahl, war Joe Biden noch zu einem kurzen Arbeitsbesuch in Deutschland – und wurde mit Ehrungen und Lob geradezu überhäuft. Wie der nächste Besuch eines US-Präsidenten oder einer Präsidentin aussehen wird, das hängt sehr davon ab, wer demnächst ins Weiße Haus einzieht.